Die Karriere von Heidi Klum ergibt, aus deutscher Sicht betrachtet, eigentlich keinen Sinn. Das war schon 1992 so, als sie im Alter von 19 Jahren einen Modelwettbewerb gewann, und es ist heute immer noch so. Es geht schon damit los, dass sie ihre Eltern in Bergisch-Gladbach tatsächlich und vollkommen im Ernst Heidi genannt haben. Zwischen der etwas derben rheinischen Fröhlichkeit, die ihr Herkunftsort impliziert, und der Alpenromantik ihres Vornamens liegen zwar nur schätzungsweise 500 Kilometer, aber dann doch Welten und unüberbrückbare Gegensätze. Anders ausgedrückt: Es macht nicht Klick, wenn man das hört. Davon abgesehen ist sie ein sehr hübsches, recht normales Mädchen mit schönen Brüsten, die sie aber auf Fotos nicht völlig entblößen will, und ihr oberstes Ziel ist es, »freundlich und natürlich zu wirken«. Diese Beschreibung wiederum passt auf so ziemlich jedes hübsche Mädchen, hübsche Mädchen in Deutschland, ja mei, die sind eben so. Damit kommt man hierzulande vielleicht in den Himmel, aber ansonsten nirgendwo hin – wir brauchen es schon einen Zacken schwieriger, neurotischer und divenhafter. Siehe Auermann, siehe Schiffer. Das Klügste, was Heidi tun kann, tut sie dann auch: Sie geht schnurstracks in die USA. Und dort geschieht etwas, was hier niemals möglich gewesen wäre, aber irgendwie typisch für die Amerikaner ist: Von New York oder Los Angeles aus betrachtet, schrumpft die Distanz zwischen Bergisch-Gladbach (»Where the fuck is that anyway?«) und den Schweizer Alpen, wo der auch in den USA sehr wirkmächtige Heidi-Mythos wohnt, auf ein paar Millimeter zusammen. Mit anderen Worten: Es macht plötzlich Klick. Schon in der Urfassung von Johanna Spyri, erst recht aber die Verfilmung mit Shirley Temple, besingt Heidi das natürliche Leben auf der Alm, welches von großstädtischer Dekadenz bedroht ist. Und jetzt kommt dieses hübsche, normale Mädchen mit dem gesunden Körper und den schönen Brüsten, umweht von einem Hauch von Züchtigkeit und Sex zugleich, es will vor der Kamera ganz natürlich sein und damit alle Heidi-Erwartungen auf das Schönste erfüllen, und ja – es bietet sogar an, in der Show von David Letterman mal kurz zu jodeln. In diesem Moment macht es dermaßen Klick, dass den Amerikanern alle Sicherungen durchbrennen: Ein Superstar ist geboren.In Deutschland wird das selbstverständlich bemerkt, weil alles, was in Amerika wichtig ist, früher oder später auch bei uns wichtig wird. Die Sache ist nun aber ein vollkommen amerikanisches und damit rätselhaftes Phänomen: Was könnte es Unnatürlicheres geben als ein Mädchen aus Bergisch-Gladbach, das bei David Letterman jodelt, obwohl es erkennbar gar nicht jodeln kann? Heidi Klum wird reimportiert wie ein amerikanischer Star, anders gesagt: als vollkommenes Kunstwesen. Sie kommt nun von jenem imaginären Strandabschnitt zwischen Orange County und Malibu, wo alle Körper perfekt oder perfekt retuschiert sind, alle Haarspitzen sonnengebleicht, das Lächeln strahlend, die Laune perfekt, das Entfernen des Bikinis aber strengstens verboten. Dort gibt es sowieso keine Nationalitäten, jeder perfekte Körper hat ein Recht auf Asyl. Das wiederum ist eine Fantasie, die manchmal auch bei uns Klick macht, und zwar in dem Moment, wo wir von deutscher Natürlichkeit und deutschen Neurosen mal die Nase voll haben. Und wem das zu abgedroschen ist, der kann sich mit dem Blick auf die Verkaufszahlen helfen: 55 Millionen Amerikaner, die sie als Titelmädchen des Bademoden-Sonderhefts der Sports Illustrated gekauft haben, die können einfach nicht irren. Wer Heidis derzeitiges Wirken verstehen will, tut gut daran, sie als Amerikanerin zu betrachten – auch wenn sie de facto immer noch Deutsche ist. Es ergibt alles einfach mehr Sinn: die Beiläufigkeit ihrer Ehe mit dem schwarzen Sänger Seal, die so gar nicht geeignet war, rassistische Reaktionen zu erzeugen; die Koexistenz von echt guter Laune und zombiehafter Zwangsfröhlichkeit; die Auftritte im lokalen Karneval und das Lob von Mutters Sauerkrautsuppe. Die hübschen Amerikanerinnen, ja mei, die sind eben so.