»Ich fahre schwarz. Is’ billiger«

Was tun, wenn im Zug der Fahrgastbefrager kommt? Unser Autor gibt eine Antwort, die ihn später ziemlich ärgert.

Illustration: Nishant Choksi

Einmal war ich Schuld, dass die Bahn die Preise erhöht hat. Wie heute schlich damals ein graumelierter Herr durch die Sitzreihen und bat die Passagiere, ihnen ein paar Fragen zur Kundenzufriedenheit stellen zu dürfen. Als ich dran war, legte er mir die Frage vor »Würden Sie ein anderes Verkehrsmittel wählen, wenn die Bahn teurer würde?« Wahrheitsgemäß antwortete ich mit »Nein«. Ein paar Wochen später wurden zum Fahrplanwechsel die Preise erhöht – und ich ärgerte mich, dass ich Wahrheit gesagt hatte. Aber die Zeiten haben sich geändert. In diesem Jahr sollen Bahntickets wegen der Mehrwertsteuersenkung ja sogar billiger werden. Also, was will man heute von mir wissen? Als der Fahrgastbefrager näher kommt, bin ich mir meiner Verantwortung bewusste, repräsentiere ich doch gewissermaßen Zehntausende von Passagieren.

Genaueres ist über die Marktforschungsaktivitäten der Bahn nicht zu ermitteln. Wie viele Passagiere pro Jahr befragt werden, hätte mich interessiert, und was deren Antworten für Folgen haben. Auf Anfrage verrät die Bahn wenig, ein Beispiel erfahre ich dann aber doch: 5.800 Fahrgäste seien bei der Gestaltung der Sitze für die ICE-3- und ICE-4-Züge befragt worden; ab 2020 baue die Bahn auf Grundlage der Ergebnisse fast 60.000 neue Sitze ein. Das klingt erfreulich, andererseits sind die Sitze in den ICEs bislang wohl das einzige, an dem ich beim Bahnfahren noch nie etwas zu kritisieren hatte.

Die Frau neben mir bekommt Zettel im DINA4-Format, die in abgegriffenen Klarsichtfolien stecken. Ich schaue rüber und kann die Fragen bereits lesen. Es geht um den Anlass der Fahrt, ob man jemanden besucht, etwas besorgt oder einen Ausflug gemacht habe. Klingt nicht, als ob man mit den Antworten die Bahn besser machen könnte. Der Fahrgastbefrager will auch das Ticket meiner Nachbarin sehen.

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Der Mann – grauer Schnurbart, beige Jacke, schätzungsweise Mitte 60 – arbeitet für ein Marktforschungsinstitut. Wahrscheinlich führt er als kurzfristig Beschäftigter für einen Stundenlohn von 10,50 Euro diese Interviews, solche Ausschreibungen zur Rekrutierung von Fahrgastbefragern findet man im Internet. Der Herr ist also nicht bei der Bahn angestellt und kontrolliert nicht die Fahrkarten. Ich fragte mich, wie er wohl reagieren würde, wenn mal jemand sagen würde: »Ich fahre schwarz«. Würde er den Zugbegleiter verständigen? Oder würde er versuchen, einen solchen Passagier vom Sinn des Fahrscheinkaufs zu überzeugen? Oder würde er gar leise Tipps geben, wie man dem Zugbegleiter entgehen könne? Wer könnte besser wissen, wie man das hinbekäme, als jemand, der ständig mitfährt?

Sehe ich wirklich so brav aus, dass man mir noch nicht mal zutraut, schwarz zu fahren?

Auf einmal interessieren mich diese Fragen so sehr, dass ich, als der Mann vor mir steht und nach meiner Fahrkarte fragt, tatsächlich antwortete: »Ich fahre schwarz, grundsätzlich. Is’ billiger.« Er lächelt nur. Ich schiebe nach: »Freuen Sie sich doch, Schwarzfahrer fehlen sonst in der Statistik, über uns sollte die Bahn doch auch etwas wissen.« Er schweigt und wartet – weil er mir nicht glaubt. Sehe ich wirklich so brav aus, dass man mir noch nicht mal zutraut, schwarz zu fahren? »Was machen Sie, wenn wirklich einer keine Fahrkarte hat?«, frage ich, als ich ihm dann doch mein Ticket zeige. »Das interessiert mich gar nicht«, sagt er. Die Standardantwort, wer’s glaubt.

Die Fragen handeln vor allem von der Qualität der Telefongespräche an Bord. Soll ich sagen, dass diese besser geworden ist, obwohl mich Telefongespräche von Mitreisenden oft nerven? Wieder bin ich auf die Situation nicht vorbereitet und antworte wahrheitsgemäß, dass die Mobilfunk-Verbindung schlecht war, als ich einen Anruf entgegennahm (natürlich im Eingangsbereich des Waggons). Falsche Antwort, wahrscheinlich wird die Bahn jetzt wegen mir noch bessere und stärkere Verstärkermodule einbauen als bisher, so dass man gar keine Ruhe mehr hat. Ja, es werden tatsächlich spezielle Geräte, so genannte Intrain-Repeater, installiert, damit Menschen besser im Zug telefonieren können.

Der Fahrgastbefrager geht weiter seine Runde – und zeigt ein paar Reihen vor mir plötzlich eine Qualität, die oft in Zügen fehlt. Eine Frau, offensichtlich nicht mit dem Bahnfahren vertraut, ist ziemlich verzweifelt über die Verspätungen und den Anschluss, den sie deshalb verpasst. Der freundliche Herr sucht ihr nicht nur Alternativverbindungen heraus, sondern gibt ihr auch noch psychologische Hilfsstellung. »Der Anschluss ist jetzt eh weg«, sagt er. »Es geht Ihnen nur noch schlechter, wenn sie sich darüber aufregen.« wie recht er hat. Manchmal wird der Fahrgastbefrager eben auch zum Fahrgastseelsorger.