»Ein sehr guter Freund bat mich darum, eine Feier zur Firmung seines Sohnes zu ermöglichen, indem ich die Kosten übernehme. Finanziell wäre das für mich unproblematisch und das Fest würde der Familie eine große Freude bereiten. Ich bin aber überhaupt nicht religiös und stehe der katholischen Kirche sehr kritisch gegenüber. Darf ich trotzdem für das Fest aufkommen?« Thomas M., München
Ihre Frage bewegt sich an den Grenzen von Toleranz und Integrität. Toleranz bedeutet, Einstellungen zu respektieren oder gar akzeptieren, obwohl man sie ablehnt. Sie würden Ihren Freunden aus Freundschaft heraus das Fest ermöglichen, sehen sich aber daran gehindert, weil Sie Religion und Kirche ablehnen. Eine perfekte Situation, um Toleranz zu üben. Mit einem Haken: Ihr Problem ist ja nicht, die Firmung des Sohnes zu tolerieren, also zu respektieren oder akzeptieren, sondern sie gegen Ihre Überzeugung zu unterstützen. Das aber ginge über die Toleranz hinaus.
Man kommt sogar an eine logische Grenze. Wenn man die Toleranz in der Autonomie des Einzelnen begründet, dass jeder das gleiche Recht auf eine eigene Haltung hat, kann es logisch nicht geboten sein, dass Sie Ihre Haltung – der Areligiosität und Ablehnung der katholischen Kirche – zugunsten der Haltung Ihrer Freunde – also des katholischen Glaubens – so weit aufgeben sollen, dass Sie aktiv die Religion unterstützen. Denn auf dieser Grundlage wäre es umgekehrt von Ihren Freunden intolerant gegenüber Ihrer kirchenkritischen Haltung, Sie um Unterstützung zu bitten und diese damit zum (erwartbaren) Freundschaftsdienst zu erklären.
Allerdings hilft die Logik hier auch, das Problem zu lösen. Vergleichen Sie einfach die beiden Szenarien mit und ohne Ihren Beitrag. Mit Ihrem Beitrag gibt es die Firmung mit einem schönen Fest, das Ihren geschätzten Freunden Freude bereitet. Steuern Sie nichts bei, entfällt das schöne Fest, die von Ihnen kritisch bewertete Firmung wird zwar in weniger schöner Form aber dennoch stattfinden. Sie umrahmen mit Ihrem Beitrag zwar ein von Ihnen abgelehntes sakrales Ereignis, bleiben dabei aber auf sicherem weltlichen Terrain. Und auf dem können Sie Ihren Freunden den Gefallen erweisen. Zumal Freundschaft auch höher stehen kann als Überzeugungen.
Literatur:
Ausführungen zur Wechselseitigkeit der Grundlagen der Toleranz – nicht notwendig der Toleranz selbst (siehe dazu John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1979, dort: 35. Toleranz gegenüber Intoleranz, S. 246–251) – als Teil der Gerechtigkeit finden sich bei:
Rainer Forst, Toleranz, Gerechtigkeit und Vernunft, in: ders. (Hrsg.), Toleranz. Philosophische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis einer umstrittenen Tugend, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 119–143
Der Sammelband ist insgesamt sehr zu empfehlen.
Allgemein zur Toleranz:
»Der Begriff ›Toleranz‹ – lat. tolerare: ›dulden‹, ›zulassen‹, ›ertragen‹ – bezeichnet allgemein das Dulden von Überzeugungen, Handlungen oder Praktiken, die einerseits negativ bewertet, andererseits aber nicht vollkommen abgelehnt bzw. eingeschränkt werden.«
Rainer Forst, Toleranz, in: Marcus Düwell, Christoph Hübenthal, Micha H. Werner (Hrsg.), Handbuch der Ethik, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, 2. Auflage, 2006, S. 529-534
»Toleranz (lat. Duldung) meint das Gelten- und Gewährenlassen (passive T.), besser noch: die Achtung, sogar freie Anerkennung (aktive und kreative T.) andersartiger Anschauungen und Handlungsweisen.«
Otfried Höffe, Toleranz, in: Otfried Höffe (Hrsg.) Lexikon der Ethik, Verlag C.H. Beck, München, 5. Auflage, 1997, S. 304-306
Rainer Forst, "Toleration", in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2012 Edition), Edward N. Zalta (ed.) Online abrufbar hier.
Das Standardwerk zum Thema Toleranz ist: Rainer Forst, Toleranz im Konflikt, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
Heiner Hastedt, Toleranz, Grundwissen Philosophie, Reclam Verlag, Stuttgart 2012
Achim Lohmar, Was ist eigentlich Toleranz? Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 64 (2010), S. 8-32
Einen Überblick über Fragen der Toleranz gibt auch das Kapitel Solange man mich nicht stört... Wert und Grenzen der Toleranz, in: Rainer Erlinger, Nachdenken über Moral, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2012, S. 161-198
Illustration: Serge Bloch