»Muss man es hinnehmen, wenn das Restaurantpersonal noch vor den Schließzeiten durch laute Aufräumarbeiten oder direkte Aufforderungen zum Gehen ›motiviert‹, weil man der letzte Gast ist? Oder darf man erwarten, bis zur offiziellen Schließzeit als zahlender Gast wertgeschätzt und bedient zu werden? Man kann doch nichts dafür, wenn das Restaurant schlecht besucht ist.« Karin R., Bonn
Es ist eine Unart, in Gaststätten mit dem Aufräumen und Putzen zu beginnen, wenn noch Gäste anwesend sind. Auf jeden Fall in einer Art und Weise, bei der die Gäste es mehr als am Rande mitbekommen. Die offiziellen Öffnungszeiten eines Lokals müssten im Grunde so angeschrieben sein, dass es die Zeiten sind, zu denen das Lokal den Gästen auch tatsächlich als Gaststätte zur Verfügung steht und nicht nur als Raum, in dem sie zwischen sonstigen notwendigen Arbeiten lediglich so etwas wie geduldet werden.
Allerdings halte ich es für eine noch größere Unart, das tägliche Leben durch das Beharren auf seinen Rechten gestalten zu wollen. Speziell in einer Situation wie dem Besuch einer Gaststätte. Auch wenn es sich dabei um eine Geschäftsbeziehung handelt und man für die Leistungen bezahlt, ist der Wirt zugleich Gastgeber und der Gast ein Gast. Und viele Gaststättenbesuche sind auch mehr Teil des allgemeinen täglichen Lebens als ein besonderes Ereignis. Wenn Sie ein Feinschmeckermenü genießen, ein Candlelight-Dinner mit Ihrer oder Ihrem Angebeteten zelebrieren oder zum Dessert den Ring zur Verlobung antragen wollen, sollten die Angestellten nicht schon um Sie herum feudeln, sondern höchstens fiedeln. Aber in allen sonstigen Situationen des Alltags steht doch im Vordergrund, dass man zusammen in einer Welt lebt und das möglichst angenehm für alle Beteiligten gestaltet. Auch indem man von seinen eigenen Rechten etwas zurücktritt und Rücksicht nimmt. Durch das Bezahlen der Zeche werden die Angestellten nicht zu Leibeigenen. Wenn man bemerkt, dass man als Letzter im Lokal ist und die Angestellten nur deswegen länger bleiben müssen, kann man auch einmal früher gehen als geplant. Man kann es ansprechen, und falls es öfter vorkommt, gibt es andere Lokale, die länger geöffnet haben.
Literatur:
Zur Rücksicht als eine der Grundsäulen einer zeitgemäßen Moral siehe das Kapitel:
Von Bahnfahrern, Spaziergängern und Vorausschau. Über Rücksicht, in: Rainer Erlinger, Moral. Wie man richtig gut lebt, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2011, S. 288ff. (Taschenbuchausgabe 2012, S. 290ff.)
Illustration: Serge Bloch