»In der Arbeit versende ich oft Dateien per E-Mail mit der Bitte um Rückmeldung. Manche Kollegen rufen mich sofort an, wenn sie die Mail bekommen, und ich muss dann am Telefon warten, während sie sich die Datei ansehen. Ist es unhöflich, einfach nicht ranzugehen oder die Anrufer zu bitten, mir die Antwort per Mail zu senden, statt anzurufen?« Michaela T., Heidenheim
Ihr Fall beinhaltet zwei Fragen, die aber beide mit einer Grundfrage verknüpft sind: Welchen Respekt zollt man der Arbeit und der Zeit seiner Mitmenschen im Vergleich zur eigenen?
Als Erstes: Darf man einen Anruf ablehnen, wenn sich der Anrufer noch gar keine Gedanken zum Thema des Anrufs hat machen können? Die Antwort scheint klar: Ja. Denn nicht Sie sind unhöflich, sondern der Kollege, der anruft, bevor er sich mit der Sache befasst hat. Oberflächlich mag es zuvorkommend, gar freundlich erscheinen, gleich zum Hörer zu greifen, in Wirklichkeit degradiert Sie der Kollege damit aber zu einer Mischung aus Hintergrundmusik und Annahme-Stand-by für seine Arbeit, die er umso schneller erledigen kann, weil Sie ja schon am Hörer warten.
Die zweite Frage ist, ob Sie eine Antwort per Mail erbitten dürfen. Die Forderung, in der Form zu antworten, in der eine Anfrage gestellt wurde, klingt unnötig formal, kann aber ihre Berechtigung haben. Es gibt Angelegenheiten, die man am besten im Gespräch klärt. Man setzt sich zusammen oder greift zum Hörer, geht die Sache Punkt für Punkt durch und klärt alle offenen Fragen. Anders liegt es, wenn sich, wie hier, eine Seite zu einem Vorschlag einer anderen Seite äußern soll und – zumindest zunächst – kein Abstimmungsbedarf besteht. Dann hat sich eine Seite die Mühe gemacht, die Punkte schriftlich zu fixieren – was meistens auch dazu führt, dass man sie besser durchdenkt –, während die andere Seite sich die Mühe sparen will. Wer auf eine schriftliche Anfrage telefonisch antwortet, missbraucht den Angerufenen als Sekretariat, das mitschreiben und die Gedanken dazu an geeigneter Stelle festhalten soll. Es geht hier weniger um Höflichkeit als vielmehr um den Missbrauch anderer. Den muss man sich nicht bieten lassen: Sie üben lediglich Notwehr.
Illustration: Serge Bloch