Das Plus-Eins-Dilemma

Wenn ich eine Party feiere, muss ich dann die Partner meiner Freunde auch einladen?

»Wenn ich etwa zum Geburtstag Freunde einlade, will ich nicht unbedingt deren Partner mit einladen, weil ich mit ihnen nicht befreundet bin und auch nicht sein müssen will. Kann ich ihnen sagen, dass ich nicht ›im Doppelpack‹ einladen möchte? Einerseits liebe ich Ehrlichkeit und Offenheit gerade in Freundschaftsbeziehungen, andererseits finde ich dieses Thema heikel.« Katharina D., Bremen

Auch wenn manche einen anderen Eindruck machen: Paare sind keine Doppelperson oder operativ verbundene siamesische Zwillinge, sondern nach wie vor zwei individuelle Menschen mit zwei Leben. Sie müssen also nicht zwangsläufig alle Unternehmungen gemeinsam angehen oder nur mehr »im Doppelpack« auftreten. Sie sind auch nicht identisch, deshalb mag man häufig einen der beiden mehr und ist in erster Linie mit ihm oder ihr befreundet. Von diesem Blickwinkel her gäbe es keine Verpflichtung, Paare immer paarweise einzuladen.

Es geht hier jedoch nicht um die Frage, ob die Paare wie zu einer Person geworden sind und deshalb nicht mehr getrennt gesehen oder behandelt werden dürfen, sondern um die Person Ihrer Freunde und die Idee der Freundschaft. Wahre Freundschaft bedeutet, den anderen so zu mögen, wie er oder sie ist. Und dazu gehört auch die Entscheidung, ob und mit wem er oder sie sein Leben verbringen will. Wenn Sie nun mit Freunden explizit ohne deren Lebenspartner befreundet sein wollen, suchen Sie sich bestimmte Teile Ihrer Freunde heraus. Sie müssen nicht alle Facetten Ihrer Freunde gleichermaßen mögen, aber zur echten Freundschaft gehört, dass Sie die Freunde als Ganzes zu Freunden haben wollen und sie mit allen ihren Facetten akzeptieren. Wenn Sie nur an bestimmten Teilen von ihnen interessiert sind, sind es keine Freunde, zumindest keine wahren Freunde, sondern eher Figuren, die Ihrer Unterhaltung dienen. Hart ausgedrückt: irgendetwas zwischen Gesellschaftsdame, Hofnarr und Dekoration.

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Natürlich kann man sich auf dieser Grundlage treffen und auch dauerhaft Kontakt haben. Nur sollte diese Grundlage allen klar sein, und man braucht sich nicht zu wundern, wenn manche dabei nicht mitspielen wollen. Und jemanden explizit ohne Partner einzuladen, ist nun einmal die deutliche Ansage, dass man das Spiel so spielen will.

Literatur:

Zur Freundschaft nach wie vor unerreicht sind die Ausführungen von Aristoteles im VIII. und IX. Buch seiner Nikomachischen Ethik. Gute Übersetzungen gibt es von Olof Gigon bei dtv, München 1991 und von Ursula Wolff bei rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006

Für die Freundschaft als Modell für soziale Beziehungen siehe Anton Leist, »Ethik der Beziehungen. Versuche über eine postkantianische Moralphilosophie«, Akademie Verlag, Berlin 2005. Dort besonders das Kapitel 7 Moralische Beziehungssystem in der Gesellschaft. 1. Das Modell der Freundschaft, S. 140ff.

Eine schöne Sammlung von philosophischen Texten zur Freundschaft findet sich in dem von Klaus Dieter Eichler herausgegebenen Buch „Philosophie der Freundschaft", Reclam Verlag 1999. Teilweise abrufbar hier

Michel de Montaigne, Essais, übersetzt von Hans Stilett, Die andere Bibliothek, herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1998, S. 103.
Eine günstigere Ausgabe dieser neuen Übersetzung gibt es mittlerweile bei dtv

Bei dieser Frage geht es um die Abgrenzung der echten Freundschaft – Aristoteles nennt sie die Freundschaft der Guten oder Tugendfreundschaft – von anderen Varianten, die Lustfreundschaft und die Nutzfreundschaft. Wenn man sich bei den Freunden nur die Teile heraussuchen will, die einem liegen, handelt es sich vermutlich am ehesten um eine Lustfreundschaft.

Die Beschreibung der echten Freundschaft findet man bei Aristoteles im VIII. Buch seiner Nikomachischen Ethik:

„4. Vollkommen ist die Freundschaft der Tugendhaften und an Tugend Ähnlichen. Diese wünschen einander gleichmäßig das Gute, sofern sie gut ist, und sie sind gut an sich selbst. Jene aber, die den Freunden das Gute wünschen um der Freunde willen, sind im eigentlichen Sinne Freunde; denn sie verhalten sich an sich so, und nicht zufällig. Ihre Freundschaft dauert, solange sie tugendhaft sind. Die Tugend ist aber beständig, und jeder von beiden ist an sich gut und gut für den Freund. Denn die Tugendhaften sind schlechthin gut und einander gegenseitig nützlich, und ebenso auch angenehm. Denn auch schlechthin angenehm sind die Tugendhaften, wie auch für einander gegenseitig. Denn jedem machen die ihm eigentümlichen Handlungen Freude und die damit verwandten; die Handlungen der Guten sind aber die entsprechenden oder doch ähnliche. So ist anzunehmen, dass eine derartige Freundschaft dauerhaft sei. Sie verknüpft in sich alles, was bei Freunden vorhanden sein muss. Denn jede Freundschaft existiert wegen des Guten oder wegen der Lust, entweder schlechthin oder für den Liebenden und beruht auf einer gewissen Ähnlichkeit. ...
Es ist freilich anzunehmen, dass solche Freundschaften selten sind. Denn wenige Menschen sind derart. Außerdem bedarf es langer Zeit und Gewöhnung.“

Übersetzt aus dem Griechischen von Olof Gigon, dtv, München 1991

In der Übersetzung von Eugen Rolfes online abrufbar hier

Illustration: Serge Bloch