Die Gewissensfrage

»Ich habe sehr genaue Vorstellungen davon, wie mein Begräbnis ablaufen sollte, und habe meine Wünsche bereits heute schriftlich festgelegt. Meine Frau würde meinen Bestattungsritus jedoch am liebsten ganz anders gestalten. Handle ich egoistisch, wenn ich auf der Erfüllung meines Willens bestehe, auch wenn es den Wünschen meiner Frau als mich ›Überlebende‹ zutiefst widerspricht? Schließlich bin ich dann schon tot und kriege – vermutlich – gar nichts mehr mit.« ERNST T., HAMBURG

Ein wenig paradox klingt es ja schon, wenn man das beim Thema Tod schreibt, aber es scheint mir hier keine endgültige Lösung zu geben. Jeder von Ihnen beiden hat wahrhaft berechtigte Anliegen.Für die Angehörigen erfüllt die Trauerfeier einen wichtigen Zweck. Nach dem Verlust eines geliebten Menschen müssen sie für sich eine neue Position im Leben finden. Bei diesem »Statusübergang«, so die Bezeichnung in der Psychologie, sind Riten hilfreich und wichtig. Je größer der Stellenwert des Verstorbenen für den Überlebenden war, desto stärker ändert sich dessen Leben, desto ausgeprägter sein Statusübergang. Vielleicht wünscht Ihre Frau deshalb eine bestimmte Gestaltung. Wer hingegen an seinen eigenen Tod denkt, muss sich, so Philipp Ariès in seiner Geschichte des Todes, vor allem mit der Hinfälligkeit des menschlichen, speziell seines Lebens aus-einander setzen. Für ihn hat die Planung der eigenen Trauerfeier eine andere Bedeutung, die jedoch keinesfalls geringer zu schätzen ist.Was bedeuten diese nachvollziehbaren Erwägungen nun für Ihre Frage? Komischerweise gelange ich, wenn ich mich an Ihrer beiden Stellen zu versetzen suche, jeweils zu einem überraschenden Schluss: Mir erscheint es nahezu selbstverständlich, so weit Verständnis für die Position des anderen zu haben, dass man sich gern dessen Wünschen anschließt. Wollen Sie in der Gewissheit sterben, dass Ihre Frau durch die Form der Beisetzung noch unglücklicher wird, als sie es ohnehin sein dürfte? Will Ihre Frau umgekehrt sich von Ihnen in einer Form verabschieden, von der sie weiß, dass sie Ihnen zuwider wäre? Zweimal klar nein, deshalb muss doch das Bedürfnis da sein, eher auf die Wünsche des anderen einzugehen, als die eigenen durchzusetzen. Und von dieser Erkenntnis bis zu einer beide Seiten zufrieden stellenden Lösung ist es wirklich nicht mehr weit. Eine solche nicht anzustreben, sondern fest auf der eigenen Position zu beharren, das hielte ich angesichts berechtigter Interessen auf beiden Seiten tatsächlich für egoistisch.