Eine Zeit lang habe ich überlegt, ob ich mich überhaupt zu Ihrer Frage äußern kann, weil derart persönliche Entscheidungen eigentlich jeglichen Rat von außen verbieten. Auf der anderen Seite hatte ich beim Lesen ein spontanes Gefühl – zugunsten Ihres Mannes. Nur könnte das hier im Generalverdacht männlicher Solidarität oder geschlechtstypischen Rollenverständnisses stehen. Deshalb will ich versuchen, mein Gefühl zu begründen und Ihnen damit wenn auch keinen Rat geben, so doch ein paar Aspekte aufzeigen.Man könnte an die reproduktive Freiheit denken, also das persönliche Recht zu entscheiden, ob man sich fortpflanzen möchte oder nicht. Daneben an den Wert von Kindern – für das Leben des Einzelnen wie für die Gesellschaft insgesamt. Doch scheint mir der Kern Ihres Problems woanders zu liegen, nämlich in der Frage, inwieweit sich Partner Wünsche erfüllen wollen, sollen oder müssen und wer zurückzustecken hat.Sie würden es umgekehrt tun, schreiben Sie, doch Ihr Beispiel Weltreise passt nicht ganz. Allerdings können gerade die Unterschiede helfen. Die liegen in der Eingriffstiefe: Wie weit greift der Wunsch des einen in das Leben des anderen ein? Nicht nur zeitlich, sondern auch in welche Güter: dort Rahmenumstände des Lebens für ein Jahr, hier reproduktive Freiheit und im Endeffekt ein echter Teil des Lebens. Darum geht es. Man muss nicht gleich auf so pathetische Ausdrücke zurückgreifen wie »eigen Fleisch und Blut«, aber darin steckt Wahrheit: Ein Kind in die Welt zu setzen, auch ein drittes, verändert das Leben, das lässt sich nicht rückgängig machen und es bleiben buchstäblich ein Leben lang Bande – im Guten wie im Schlechten. Und bei derart weitreichenden Entscheidungen haben für mich Vetorechte der Betroffenen einfach einen sehr hohen Stellenwert.
Die Gewissensfrage
»Ich habe zwei Kinder, zum zweiten musste ich meinen Mann bereits überreden. Nun will er keines mehr, aber mein größter Herzenswunsch ist ein drittes Kind. Irgendwie denke ich, dass er mir meinen Lebenstraum doch nicht verweigern kann. Hätte er etwa den Wunsch, sich ein Jahr auf eine Weltreise zu begeben, würde ich ihm dies mit allen Konsequenzen für mich ermöglichen wollen. Lassen sich die beiden Lebensträume – noch ein drittes Kind und Wunsch nach Beständigkeit mit zwei Kindern – irgendwie gegeneinander abwägen?« ULRIKE M., BERLIN