Kennen Sie den Witz von der beliebtesten Mutter der Klasse? Nein? Also: Eine Mutter ist stolz, als ihre Kinder erzählen, dass sie zur beliebtesten Mutter der Klasse gewählt wurde. Bis sie erfährt, dass jedes Kind seine eigene Mutter angekreuzt hat und sie nur gewann, weil ihre Zwillinge in dieselbe Klasse gehen und beide für sie stimmten. Was hat das mit Ihrer Frage zu tun? Wenig. Weil es bei Ihnen um gar keine Wahl geht, sondern um eine Wette. Aber so absurd die Wahl zur beliebtesten Mutter im Witz ablief, so absurd wäre auch eine Tipprunde, wenn jeder auf seine eigene Nationalmannschaft tippen muss. Falls Sie keinen internationalen Freundeskreis haben, wird das eine ziemlich langweilige Sache: so vielfältig wie ein SupermutterContest in der eigenen Familie und so ergebnisoffen wie eine Wahl zur Volkskammer in der DDR.
Fußballanhänger versuchen mir immer zu erklären, dass es bei der WM um ein buntes Spiel der Völker geht und die Fahnenmeere und Schlachtgesänge nichts mit Nationalismus zu tun haben – auch wenn Wissenschaftler auf eine parallele Zunahme von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit bei der letzten WM hinweisen. Wenn die Fußballfreunde recht haben – es sich also in erster Linie um ein Spiel handelt –, kann sich niemand beschweren, dass Sie so tippen, wie Sie es sportlich für richtig halten. Mit einer Einschränkung: Falls Ihnen der Zwiespalt zwischen Hoffnung auf Wettgewinn und patriotischer Siegessehnsucht innere Qualen bereitet, würde ich im Eigeninteresse von dieser Tippspiel-Gestaltung absehen. Andererseits bekämen Sie beim Ausscheiden dann wenigstens ein kleines Trostpflaster.
Quellen:
Julia Becker / Ulrich Wagner / Oliver Christ, Nationalismus und Patriotismus als Ursache von Fremdenfeindlichkeit, in: Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.) Deutsche Zustände, Folge 5 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. S. 131-149
Marc Herold (Illustration)