»Ich habe ein Problem mit meinem liebsten Trimm-dich-Pfad: In einer der öffentlich zugänglichen und überdachten Trainingsstationen hat sich ein Obdachloser einquartiert. Er wohnt dort, wo ich früher meine Bauchmuskulatur trainiert habe, und behindert dadurch das Training vieler Freizeitsportler. Eigentlich hat er da nichts zu suchen, aber es kommt mir unmenschlich vor, ihn fortzujagen. Er braucht eine Wohnung, ich brauche meinen Sport. Was tun?« Hendrik A., München
Einen Obdachlosen von einem Platz zu vertreiben, der ihm sprichwörtlich ein Dach über dem Kopf bietet, erscheint tatsächlich inhuman. Zumal Menschen wie ihm in unserer Gesellschaft immer weniger Raum gelassen wird: In immer mehr Bereichen der Städte, etwa in Shoppingcentern, aber auch Bahnhöfen, werden Verhaltensweisen wie das Sitzen auf Freiflächen verboten und so bestimmte Gruppen der Gesellschaft ausgeschlossen. Eine Entwicklung, die in der Stadtsoziologie unter dem Stichwort »Privatisierung des öffentlichen Raums« kritisch diskutiert wird.
An der Stelle stutzt man. Denn das, was der Sportplatzbesetzer macht, wenn er einen Teil des der Allgemeinheit dienenden Trimm-dich-Pfads in Beschlag nimmt, könnte man auch als Privatisierung eines öffentlichen Raums bezeichnen – gewissermaßen mit umgekehrten Vorzeichen. Liegt hier tatsächlich eine Entsprechung vor, und kann man daraus etwas für die Beantwortung der Frage ziehen?
Das Hauptproblem der klassischen Privatisierung des öffentlichen Raums ist, dass damit Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, weiter aus ihr verdrängt und ausgeschlossen werden. Es geht um Exklusion. Und genau das passiert – nur eben umgekehrt – auch am Sportplatz: Wenn der Mann die Trimm-dich-Station besetzt und die Sportler dadurch nicht mehr zum Zuge kommen, schließt er andere von der Benutzung dieser öffentlichen Einrichtung aus. Sozial Benachteiligte, wie etwa Obdachlose, haben es schwer, deshalb sollte man ihnen auch Raum lassen. Besonders wenn es um etwas so Elementares wie ein Dach über dem Kopf geht. Eine Gesellschaft muss jedem die Möglichkeit eröffnen, in ihrer Mitte zu leben, ansonsten aber aushalten, dass manche ein anderes Leben nach anderen Maßstäben führen. Nur: Ebenso wenig wie man jemanden, der nicht ins Raster passt, aus dem öffentlichen Raum und damit auch aus der Gesellschaft ausschließen darf, muss man es hinnehmen, dass er oder sie andere dauerhaft von der Benutzung öffentlicher Einrichtungen ausschließt.
Aber wie reagieren? Die Polizei zu rufen schiene mir tatsächlich hart. Aber wenn Gespräche nicht fruchten, hielte ich zumindest einen Anruf bei dem für den Trimm-dich-Pfad zuständigen Amt für sinnvoll.
Zu diesem Thema empfiehlt Rainer Erlinger:
Hartmut Häussermann / Werner Siebel, Stadtsoziologie. Eine Einführung. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2004
Walter Siebel: Zum Wandel des öffentlichen Raums - das Beispiel Shopping-Mall. In: Adelheid von Saldern (Hg.): Stadt und Kommunikation in bundesrepublikanischen Umbruchzeiten. Beitrage Zur Kommunikationsgeschichte (Bkg) Band 17, Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 2006
Georg Glasze, Privatisierung öffentlicher Räume? Einkaufszentren, Business Improvement Districts und geschlossene Wohnkomplexe. In: Berichte zur deutschen Landeskunde Band 75 (2001) S. 160-177.
Der Gegensatz von Öffentlichkeit und Privatheit als Kennzeichen der Großstadt geht zurück auf:
Hans-Paul Bahrdt, Die moderne Großstadt, Leske&Budrich, Opladen 1998 (Nachdruck der Originalausgabe von 1961)
Lesenswert zum Thema Großstadt auch:
Georg Simmel, Die Großstädte und das Geistesleben, Georg-Simmel-Gesamtausgabe, Band 7, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995, S. 116-131 Hier online abrufbar.
Illustration: Marc Herold