»Die NSA verhöhnt durch ihr Ausspionieren sämtlicher privaten Daten der Bundesbürger unsere Verfassung auf nie dagewesene Weise. Obwohl wir diese Einsicht einzig Herrn Snowden verdanken, der sich durch seine Enthüllung in keiner Weise bereichert, bieten wir, die Bundesrepublik, ihm nicht Asyl an. Ist das moralisch in Ordnung?« Tobias L., Hamburg
»Wer nichts verbrochen hat, hat nichts zu befürchten.« So argumentieren Anhänger einer weitreichenden Sicherheitspolitik gerne gegenüber Bürgern, die eine Einschränkung ihrer Privatsphäre befürchten. Ich halte diesen Satz zwar für falsch, würde ihn aber gerne seinen Urhebern entgegenhalten und sie fragen, wo der Schaden liegt, den Edward Snowden angerichtet hat.
Betroffene Geheimdienste und Regierungen werden nicht müde zu betonen, dass sich die Ausspähung im Rahmen der bestehenden Gesetze und Verfassungen bewegt. Wenn dem so ist, kann Snowden, solange er nur berichtet, dass und in welchem Umfang etwas gegenüber eigenen Bürgern oder befreundeten Ländern geschieht und nicht geheime Codes und Programme veröffentlicht oder Agenten enttarnt, in einer Demokratie rein logisch nicht viel angerichtet haben. Er hätte in einem Maße Unrecht begangen, das eine fristlose Kündigung, allenfalls eine geringe Strafe rechtfertigt. Wenn jedoch bereits das einen massiven Geheimnisverrat darstellt, weil selbst beteiligte Regierungen und parlamentarische Kontrollgremien nicht Bescheid wussten – vom Volk ganz zu schweigen – oder tatsächlich Recht gebrochen wurde, wäre Snowden als Whistleblower für die Demokratie gerechtfertigt und dürfte nicht bestraft werden.
Ich bin prinzipiell der Meinung, dass wir hier in Deutschland den USA nicht nur freundschaftlich und politisch verbunden, sondern auch zu Dank verpflichtet sind und Loyalität schulden, wie sie die USA gegenüber dem am Boden liegenden Nachkriegsdeutschland oder dem geteilten und blockierten Berlin gezeigt haben. Deshalb wäre ich mit Forderungen nach politischem Asyl vorsichtig. Allerdings kann das nicht die Denkgesetze außer Kraft setzen, und Deutschland könnte erwägen, Snowden vor einer drohenden unlogischen Verfolgung »logisches Asyl« zu gewähren. Für ein Land nicht nur der Dichter, sondern auch Denker, als das es jüngst auch Barack Obama in seiner Rede vor dem Brandenburger Tor gepriesen und dazu Immanuel Kant zitiert hat, wäre das nur logisch.
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Quellen:
Der Abschnitt der Rede vor dem Brandenburger Tor, in dem Barack Obama Deutschland als Land der »Dichter und Denker« bezeichnet und sich dabei auf Immanuel Kant bezeiht, lautet im Original: »Here, for thousands of years, the people of this land have journeyed from tribe to principality to nation-state; through Reformation and Enlightenment, renowned as a ›land of poets and thinkers,‹ among them Immanuel Kant, who taught us that freedom is the ›unoriginated birthright of man, and it belongs to him by force of his humanity.‹« (The White House, Office of the Press Secretary)
Das Originalzitat stammt aus der »Metaphysik der Sitten«: »Das angeborne Recht ist nur ein einziges. Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht.« (Akademie Ausgabe Band VI S. 237) Im Zusammenhang online nachzulesen hier.
Die Rede von Barack Obama am 19.6.2013 in Berlin kann man hier als Video sehen.
Den Wortlaut kann man hier nachlesen.
Illustration: Serge Bloch