Hoch die Tassen

Muss ich das Trinken von Alkohol auf meiner Geburtstagsfeier tolerieren, obwohl ich es zutiefst ablehne?

»Ich finde Alkohol eklig und trinke deshalb nie – eine persönliche Entscheidung aus tiefster Überzeugung. Bin ich dennoch moralisch verpflichtet, alkoholische Getränke auf meiner Geburtstagsfeier – ich werde demnächst 18 – zu tolerieren, da ich als Gastgeberin das Wohlbefinden aller im Blick haben muss? Oder kann ich für den einen Abend meine Gäste zwingen, sich meinen Überzeugungen zu beugen?« Gundula K., Erfurt

Üblicherweise vertrete ich die Ansicht, man sollte eine Einladung so gestalten, dass es den Gästen gefällt. Damit wäre Ihre Frage beantwortet, lägen hier nicht zwei Besonderheiten vor, die zu berücksichtigen sind: zum einen, dass es um Alkohol geht, zum anderen Ihr Alter.

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Alkohol ist ein starkes Suchtmittel, das massive individuelle wie gesellschaftliche Schäden anrichtet; einer 2010 in der renommierten Zeitschrift The Lancet veröffentlichten Studie zufolge liegt er auf der Rangliste der schädlichen Drogen auf Platz eins, noch vor Heroin und Crack. Das mag damit verbunden sein, dass wir nicht nur in einer alkoholpermissiven Gesellschaft leben, die Alkohol gestattet, sondern in einer alkoholimperativen, die Alkohol vorschreibt: Wer keinen Alkohol trinken oder ausschenken will, muss sich – so wie Sie – rechtfertigen. Andererseits stellt Alkohol auch ein Kulturgut dar, auf das vollständig zu verzichten einen doch erheblichen Verlust darstellen würde.

Vermutlich sind auch Ihre Gäste um die 18 Jahre alt. In Deutschland ist zwar die Abgabe von nicht hochprozentigen Alkoholika an Jugendliche ab 16 Jahren erlaubt, es wird jedoch immer wieder auch ein generelles Alkoholverbot bis 18 Jahre diskutiert. Das kann man angesichts der gesellschaftlichen Realität – pro Jahr werden ungefähr 20 000 Jugendliche mit Alkoholvergiftungen in Notaufnahmen eingeliefert – je nach Betrachtungsweise als notwendig oder illusorisch ansehen.

Vor diesem Hintergrund würde ich folgendermaßen abwägen: Im Vordergrund steht hier Ihre Autonomie – übrigens ein wichtiger Aspekt gerade an einem 18. Geburtstag. Wenn Sie keinen Alkohol ausschenken wollen, brauchen und sollten Sie das auch nicht tun. Wenngleich es nett gegenüber Ihren Gästen wäre, die gern ein Bierchen hätten und sich schließlich wohlfühlen sollen. Ansonsten halte ich bei Alkohol Aristoteles Mesotes-Lehre vom goldenen Mittelweg für den besten Ansatz. Ihr zufolge liegt die Tugend in der Mitte zwischen zwei Extremen, dem Übermaß und dem Mangel. Das sehe ich auch hier einschlägig; sowohl was den Alkohol allgemein angeht als auch vor dem Hintergrund des Alters der Gäste. Zum Erwachsenwerden gehört auch der verantwortungsvolle Umgang mit Drogen wie Alkohol: Ob der dann bedeutet, keinen zu trinken oder ihn maßvoll zu genießen, ist jedermanns eigene Sache.

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Quellen:

David Nutt, Leslie A King, William Saulsbury, Colin Blakemore Development of a rational scale to assess the harm of drugs of potential misuse, The Lancet, Volume 369, Issue 9566 , Pages 1047-1053

David J Nutt, Leslie A King, Lawrence D Phillips, On behalf of the Independent Scientific Committee on Drugs Drug harms in the UK: a multicriteria decision analysis, The Lancet, Volume 376, Issue 9752, Pages 1558-1565

Illustration: Marc Herold