Forschungsgruppe Wale

Mexikanische Fischer haben einen Weg gefunden, ihre leer gefischten Riffs und Lagunen wiederzubeleben. Zu Hilfe kamen ihnen dabei die Grauwale.

Streicheleinheiten für einen Grauwal: So nah kommt man in der mexikanischen San-Ignacio-Lagune den Tieren.

Foto: Getty Images/Ralph Lee Hopkins

Das Problem: Mehr als drei Viertel der Weltmeere sind schwer überfischt, und gesetzliche Fangquoten machen keinen entscheidenden Unterschied. Fast überall auf der Welt ziehen die Fischer immer weniger Beute aus den Netzen.
Die Lösung: Kooperativen, in der sich die Fischer gemeinsam als Hüter des Meeres verstehen.

Einen Wal zu streicheln ist ein unvergleichliches Glücksgefühl. Mutter- und Tochterwal tauchen direkt neben dem kleinen blauen Boot auf, lassen sich von den enthusiastischen Begeisterungsschreien aller zwölf Insassen erstaunlich wenig irritieren und warten geduldig, bis sich die Hände zu ihnen strecken – wie ein Pack zutraulicher Welpen, die in diesem Fall halt eben mehr als eine Tonne wiegen. Der Babywal dreht sich auf die Seite und öffnet den Mund, damit ihm die Touristen die Zunge kraulen. Warum die Wale im mexikanischen San Ignacio gar so freundlich sind, weiß dabei keiner so genau.

Bootsmann José hat vorher Anweisungen gegeben: Nicht füttern, nie die Atemlöcher berühren und auf gar keinen Fall zudringlich werden. In San Ignacio achten die Einheimischen streng darauf, dass die Wale nicht vertrieben werden: Sie begrenzen die Zahl und Größe der Boote; die Boote dürfen sich den Walen nicht nähern, sondern müssen geduldig darauf warten, dass die neugierigen Wale von selbst näher kommen – ganz anders als etwa im weiter südlich gelegenen Bahia Magdalena und anderen Orten, wo die Schiffe in der Touristensaison regelrecht Jagd auf die Tiere machen.

Meistgelesen diese Woche:

Man kann die hautnahe Begegnung von wilden Tieren mit Touristen gerne grundsätzlich fragwürdig finden, aber Touristen sind nicht immer die Bösen, und das Walstreicheln ist viel mehr als ein Touristengag: Es erlaubt den Mexikanern, ihre Bucht zu schützen. Fischfang ist während der Walsaison im Winter komplett verboten, damit die Jungtiere nicht irritiert werden. Statt weiter draußen das Meer leer zu fischen, haben die meisten Einheimischen ein Auskommen gefunden, indem sie den Besuchern die Fischvielfalt zeigen oder ihnen einfache Hütten am Strand vermieten.

Das Prinzip »Kommunaler Schutz« ist ein Lehrstück für viele Gemeinden auf der ganzen Welt, und Fischer von Maine bis Ghana haben es erfolgreich kopiert. Jeder begeisterte Taucher (wie die Autorin dieser Kolumne) kennt beides: das Glücksgefühl, eine intakte Unterwasserwelt zu entdecken und mit Mantas über bunte Korallen zu schweben – und das Entsetzen, auf weiß gebleichte Korallen zu stoßen, zu denen sich nur hin und wieder vereinzelte Fische verirren. In Mexiko gibt es beides, ziemlich intakte Meereswelten und schlimm leergefischte – sogar dicht beieinander. Das liegt daran, dass viele der Kooperativen, zu denen sich die mexikanischen Fischer vierlerorts zusammengeschlossen haben, an maximalem Profit interessiert sind, etliche andere aber am nachhaltigen Fischfang. Das Ergebnis: Die Profitmaximierer ziehen immer öfter leere Netze aus dem Ozean, weil nichts mehr da ist. Die Nachhaltigen haben plastikfreie Buchten, frischgestrichene Häuser, gemeinsame Kühlhäuser und eine funktionierende Direktvermarktung nach Asien. Damit senken sie Kosten, machen mehr Gewinn und schonen trotzdem die Ressourcen.

Kooperativen gibt es schon lange, in vielen mexikanischen Dörfern seit den späten Vierzigerjahren. Lange dienten sie nur der gemeinsamen Profitjagd, nach der Devise: Holt soviel raus wie möglich. Noch schlimmer wurde das Ganze, weil die mexikanische Regierung die vielen Arbeitslosen im Land subventionierte, in die Fischindustrie einzusteigen – bis es bald mehr Fischer als Fische zu geben schien. Nun richten immer mehr Kommunen ihren Fischfang nachhaltig aus.

»Ich rede gerne darüber, welch positiven Einfluss Menschen auf die Ozeane haben können«

Dazu gehört: Während andere Fischer schon zu Beginn der Saison im Januar nach Abalonen fischen, lassen die Fischer in Punta Abreojos ihre Boote bis April freiwillig im Hafen. Bis dahin sind die Seeschnecken reifer und größer, die Ernte ergiebiger, und der Bestand erholt sich schneller. In mehreren Gebieten wurde das Fischen komplett verboten. Diese Schutzgebiete sind nicht riesig und wären noch effektiver, wenn sie größer wären, aber selbst Mikro-Schutzgebiete sind erstaunlich effektiv.

In Cabo Pulmo war es eine einheimische Fischerfamilie, die erkannte, dass das Hausriff hoffnungslos zerstört war. Ihr wurde klar, dass sie sich ihre eigene Lebensgrundlage abgruben. Die Familie setzte durch (gegen viel Widerstand der Kollegen und als Pioniere vor 22 Jahren), dass das Riff als eines der ältesten in ganz Nordamerika zum Nationalpark erklärt wurde, und nun wimmelt es dort wieder von Aalen, Schildkröten und Haien. »Sie haben es gerettet!«, schwärmt der Meeresforscher Octavio Aburto-Oropeza, und zeigt sich selbst überrascht, wie erfolgreich die Einheimischen durch Fangverbote und Reinigungsaktionen ihr Ökosystem schützen. Die Biomasse hat um 400 Prozent zugenommen. Stolz zeigt der begeisterte Unterwasserfotograf seine Fotos von üppigen Fischschwärmen und leuchtenden Korallen. »Ich rede gerne darüber, welch positiven Einfluss Menschen auf die Ozeane haben können.« Schon 70 Quadratmeterkilometer Schutzgebiet um das Riff wie im Cabo Pulmo Nationalpark ließen die Fische zurückkehren – mit ihnen die Sporttaucher und damit eine lukrative Industrie, die von den Einheimischen gefördert, aber deren Auswüchse auch überwacht werden – so sehr, dass viele Schnorchler über die detaillierten Regeln klagen.

Natürlich ist die Überfischung der Meere nicht nur ein mexikanisches, sondern ein Weltproblem. Der Hunger von Milliarden nach Thunfisch und Sardinen wird mit brutalen Methoden befriedigt. Mehr als drei Viertel der Weltmeere sind schwer überfischt, und wenn die schwimmenden Fischfabriken ihre Großnetze über die Meeresböden ziehen, bleibt wenig Leben übrig. Gesetzliche Quoten haben sich als wenig effektiv erwiesen. Fast überall auf der Welt ziehen die Fischer immer weniger Beute aus den Netzen.

Während sich die Weltgemeinschaft dazu durchringen müsste, manche Praktiken ganz zu verbieten (etwa die Trawlernetze, die den Meeresboden leerfegen und tonnenweise Beifang vernichten, oder die Dynamitsprengungen sogar in Meeresschutzgebieten, wie ich sie in Asien gesehen habe), fanden die mexikanischen Fischer ihre eigenen Wege.

Octavio Aburto-Oropeza, Professor am »Scripps Institution for Oceanography«, beobachtet die Fischereibetriebe im Golf von Mexiko und im Golf von Kalifornien seit 20 Jahren. Besonders die Kooperativen von Cabo Pulmo und Punta Abreojos hält der gebürtige Mexikaner für Erfolgsmodelle. Den Fischern von Punta Abreojos attestiert er, dass sie seit 15 Jahren den Fang von Hummer, Abalone, Seebarsch, Flunder und Yellowtail optimal managen: »Andere Kooperativen könnten von ihr lernen.«

Die Faktoren, die es zum Erfolg braucht, kann er genau benennen: Erstens, es muss eine teure, hochwertige Ressource da sein wie Hummern, Austern oder Abalone, damit die Fischer davon leben können. Zweitens muss das Gebiet geschützt sein, damit es von ortsfremden Fischern nicht geplündert wird. Und drittens, ganz wichtig: Vertrauen – sowohl untereinander als auch zu Wissenschaftlern wie ihm. Zu oft diktieren Forscher aus anderen Städten oder gar Ländern, was die Fischer (oder Bauern) tun dürfen und was nicht. Gesetzgeber aus den Städten schreiben Fangquoten vor, sind aber nicht vor Ort, sie zu kontrollieren - warum also sollten sich die Fischer darum scheren?

Viertens, die Fischer brauchen etwas, wovon sie in den langen Monaten leben können, wenn der Fischfang ausgesetzt ist. In den armen Gegenden gibt es nun einmal keine Industrien mit vielen Arbeitsplätzen. In San Ignacio ist die Rettung der Tourismus, in Punta Abreojos neben dem Tourismus das Erforschen der Unterwasserwelt im Auftrag namhafter wissenschaftlicher Institute. Die Fischer werden nun dafür bezahlt, die Fischzuwächse zu dokumentieren statt sie zu dezimieren.

Fünftens, langfristige Ziele: Es darf nicht nur um den Fang der Saison gehen, sondern darum, wie die Fischbestände die nächsten Jahre und Jahrzehnte gesichert werden. [Quelle: National Geographic]

Übrigens: Dafür braucht es keine Wale vor der Haustür. Mit einem ähnlichen Konzept haben die Hummerfischer in Maine den Bestand der Hummer wiederbelebt, die schon mal fast ausgerottet waren. Auch dort basieren die Regeln der Kommune auf einem Ehrenkodex: Hummer, die kleiner als mindestens 8 Zentimeter sind, werden wieder ins Meer zurück gesetzt. Weibliche Hummer, die mit einer Kerbe am Schwanz markiert sind, ebenfalls, damit sie sich fortpflanzen können. Wer sich daran nicht hält, wird von der Gemeinschaft mit einem Lizenzentzug bestraft und darf in der nächsten Saison gar nicht mehr aufs Wasser.

Das funktioniert aber nicht nur im Wasser, sondern auch auf dem Land. Eine ähnliche Idee gab es auch mal unter deutschen Bauern: die Allmende, das Grundeigentum einer Dorfgemeinschaft innerhalb einer bestimmten Gemarkung. Die Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom gewann mit ihrer Erforschung der Allmende 2009 als erste Frau den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, weil sie zeigen konnte: Das gemeinschaftliche Bewirtschaften von Land kann besser für Umwelt und Gemeinschaft sein, wenn alle an einem Strang ziehen und das langfristige Wohlergehen von Mensch und Natur zum Ziel hat; die SZ brachte dazu gerade eine wunderbare Reportage.

Alle, die das für idealistisches Gutmenschentum halten, sollten sich einfach mal den direkten Unterschied anschauen – zwischen den öden und den lebendigen Unterwasserwelten im Pazifik. Jetzt fehlt nur noch, dass sich das rumspricht – bis sich alle Erdlinge als Kommune für den ganzen Planeten verantwortlich fühlen. Nicht als nobles Ideal, sondern weil sie erkennen, dass sie selbst nicht überleben können, wenn sie alle Ressourcen ausgebeutet haben.