Bei Anruf Übersetzung

Jeden Tag gibt es in Kliniken Probleme mit Notfallpatienten, die sich nicht auf Deutsch verständigen können. Abhilfe schafft eine Dolmetsch-Hotline, deren Gründer im Interview erklärt, warum ein Patientengespräch Voraussetzung für »gute Medizin« ist.

Lisanne Knop (rechts) und Korbinian Fischer gründeten vor drei Jahren Triaphon, eine Dolmetsch-Hotline für medizinische Notfälle.

Foto: Sebastian Widmann/Stiftung Ravensburger Verlag

Das Problem: Zehn Prozent der Notfallpatienten, die in Deutschland akute medizinische Hilfe brauchen, haben Sprachbarrieren. Ein Drittel aller Gewaltübergriffe in Kliniken gehen auf Verständigungsschwierigkeiten zurück.
Die Lösung: Zwei deutsche Ärzte bieten mit Triaphon 24 Stunden am Tag Dolmetschleistungen auf Knopfdruck an.

Das hat fast jeder schon mal im Urlaub erlebt: den Knöchel verknackst, was Falsches gegessen oder Hitzschlag, und dann sitzt man irgendwo im Urlaubsland in einer ländlichen Unfallklinik und kann sich nicht verständigen. Umgekehrt kommen solche Situation aber auch regelmäig in deutschen Krankenhäusern vor – dass Patienten in der Notaufnahme erscheinen, die schlecht oder gar nicht Deutsch sprechen und dem Klinikpersonal deshalb nicht ohne Probleme die zur Behandlung notwendigen Informationen übermitteln können. Für Notfall-Patienten mit Sprachbarrieren in Deutschland gründeten die beiden deutschen Ärzte Korbinian Fischer und Lisanne Knop vor drei Jahren die gemeinnützigen Dolmetsch-Hotline Triaphon: 24 Stunden am Tag übersetzen geschulte Freiwillige Patientengespräche in acht Sprachen.

SZ-Magazin: Herr Fischer, Sie haben 2017 die gemeinnützige Hotline Triaphon gegründet, zusammen mit Ihrer Kollegin, der angehenden Berliner Kinderärztin Lisanne Knop. Gab es ein bestimmtes Erlebnis, das Ihnen den Bedarf besonders deutlich machte?
Korbinian Fischer: Ich habe gerade sechs Monate Dienst in der Notaufnahme einer Mannheimer Klinik hinter mir. Es passiert jeden Tag mehrmals, dass Patienten kommen, die die deutsche Sprache nicht ausreichend gut sprechen. Man merkt, dass man da nicht weiterkommt. Meine Kollegin Lisanne Knop erlebte sogar, dass ein dreijähriger vietnamesischer Junge starb, weil die Ärzte dachten, er hätte einen Magen-Darm-Infekt. Die Familie konnte nicht erklären, dass der Junge sich nicht seit Tagen, sondern seit Monaten erbrach. Wenn ein Arzt erfährt, die Symptome bestehen seit Monaten, denkt man sofort an erhöhten Gehirndruck. Der Junge hatte einen Gehirntumor. Wenn man sich mit Ärzten und Klinikmitarbeitern unterhält, kennt fast jeder eine Geschichte mit dieser Intensität.

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Der Bedarf ist enorm. Ihren Schätzungen zufolge haben zehn Prozent der Notfallpatienten Sprachbarrieren. Laut einer Studie lassen sich 37,7 Prozent der Gewaltsituationen in Kliniken auf Verständigungsprobleme zurückführen.
Ohne dieses Anamnese-Gespräch, das am Anfang steht, kann man eigentlich keine gute Medizin machen. Es geht nicht darum, hochkomplexe Informationen zu teilen, sondern grundlegende: Welche Symptome? Seit wann? Man würde auch keinen deutschsprachigen Patienten behandeln, ohne ein Gespräch zu führen. Da haben sich im Alltag Praktiken etabliert, die wir so nicht akzeptieren wollten, also dass wir entweder ohne Gespräch behandeln, verzweifelt nach irgendjemandem suchen, der ad hoc übersetzen kann, oder den Patienten wieder wegschicken. Das führt entweder zu Unter-, Fehl-, oder Überversorgung, das heißt, ein Mensch wird entweder nicht ausreichend, falsch, oder wegen des fehlenden Gesprächs überbehandelt, man macht dann vielleicht mehr Tests und zur Sicherheit noch eine unnötige Bildgebung, wie Röntgen, CT oder MRT. Das kommt fast bei jedem Patienten mit Sprachbarrieren vor. Lisanne hatte beim Praktikum in Amerika am Bellevue Hospital in Manhattan die Erfahrung gemacht, dass es dort ein Call Center mit Übersetzerdienst gab. Das fehlte hier in Deutschland.

Wie funktioniert Triaphon genau?
Bewusst ganz einfach. Ein Arzt im Notfalldienst steht unter Stress, da hat man keine Zeit, mühsam im Internet eine Datenmaske auszufüllen. Der Pflegende oder die Ärztin ruft immer die gleiche Telefonnummer an, da kommt eine Ansage: »Bitte wählen sie ihre Sprache.« Taste 3 für vietnamesisch, und innerhalb von Sekunden hat die Ärztin eine vietnamesische Sprachmittlerin am Telefon, stellt das Telefon auf Lautsprecher und kann dann sagen: »Ich habe hier ein Kind mit Bauchschmerzen, bitte übersetzen Sie mal die Frage…« Das Ganze ist anonym, deshalb gibt es keine Probleme mit dem Datenschutz.

»Uns geht es darum, die Lücke zu füllen bei Notfällen und schwer planbaren Situationen, wo die Ärzte dann verzweifelt versuchen, Mitarbeiter wie Reinigungspersonal mit guten Sprachkenntnissen dazu zu holen, um ein Anamnesegespräch zu übersetzen«

Wie schaffen Sie es, diesen Dienst rund um die Uhr zuverlässig anzubieten?
Mit dem hohen Engagement unserer 100 SprachmittlerInnen. Das motiviert uns enorm, mit wieviel Begeisterung die dabei sind und auch mitten in der Nacht ans Telefon gehen. Dazu kommt ein ziemlich gut organisiertes, flexibles Schichtsystem. Jeden Monat werden von unseren SprachmittlerInnen etwa 600 Gespräche gedolmetscht. Auffällig ist, dass 80 Prozent unserer Sprachmittler Frauen sind. Sie engagieren sich ehrenamtlich, bekommen aber eine kleine Aufwandsentschädigung.

Sind das Freiwillige oder Profis? Es geht ja oft um sehr sensible und auch lebensentscheidende Fragen.
Das ist eine sehr heterogene Gruppe, von jungen Medizinstudenten bis zu berenteten Apothekern. Es ist ein buntes Bild aus verschiedenen Kulturen und Religionen. Die Medizinstudenten, die nachts lernen, melden sich eher für die Nachtschichten an, die Älteren tagsüber. Wir gucken, was ist die Motivation? Wie gut sind die Sprachkenntnisse? Wir führen ein Einstellungsgespräch, trainieren die Leute, machen Übungsanrufe, und wir haben Regeln, zum Beispiel neutral zu bleiben, sich nicht einzumischen, nur das zu übersetzen, was genau so gesagt wurde. Dazu gibt es ein Mentorenprogramm; ein Mentor betreut die Sprachgruppe. Wir nennen sie Sprachmittler, denn wir treten nicht in Konkurrenz zu den zertifizierten Dolmetschern. Vereidigte Dolmetscher sind unabdingbar bei komplexen Diagnosen und schwierigen Patientengesprächen, die man planen kann. Wir setzen Triaphon eher in der Akut- und Basiskommunikation ein. Uns geht es darum, die Lücke zu füllen bei Notfällen und schwer planbaren Situationen, wo die Ärzte dann verzweifelt versuchen, Mitarbeiter wie Reinigungspersonal mit guten Sprachkenntnissen dazu holen, um ein Anamnesegespräch zu übersetzen.

Suchen Sie noch Freiwillige?
Seit November bieten wir als achte Sprache Bulgarisch an, zusätzlich zu Arabisch, Persisch (Dari/Farsi), Polnisch, Rumänisch, Russisch, Türkisch und Vietnamesisch. Unser Bedarf variiert sehr nach Sprache, wir suchen gerade Leute, die gut Persisch, Rumänisch, und Bulgarisch sprechen. Bei allen anderen haben wir Wartelisten. Für uns ist das ein großer Aufwand, die Leute auszubilden.

Was sind die größten Herausforderungen?
Der politische Wille. Eigentlich bräuchten wir eine Gesetzesänderung, dass die Krankenkassen die Kosten übernehmen. Die Krankenkassen bezahlen Dolmetscherdienste nur für Gebärdensprache. Vor Gericht sind Dolmetscher selbstverständlich, im Krankenhaus nicht. Gerade im ambulanten Bereich ist es oft so, dass die Patienten dann weggeschickt werden und ihnen gesagt wird, sie sollen mit einem Dolmetscher wiederkommen. Die Verantwortung liegt beim Patienten. Gerade seit Covid-19 haben wir mehr Anrufe, weil die Angehörigen nicht mit in die Praxis dürfen und die Dolmetscher vor Ort wegfallen. Wir haben relativ schnell eine Corona-Soforthilfe aufgebaut, hierfür Spenden gesammelt, um den Dienst kostenlos für besonders von Corona betroffenen Kliniken zur Verfügung stellen zu können. Letztendlich würde das dem Gesundheitssystem Geld sparen und Behandlungsfehler vermeiden, wenn die Basiskommunikation von Anfang an gut funktioniert.

Gibt es die Überlegung, den Dienst auch für Touristen auszuweiten, wenn internationale Reisen wieder möglich sind? Die Situation kennt ja fast jeder, dass man sich im Ausland in einer Notsituation nicht verständigen kann.
Das würde unserer gemeinnützigen Satzung nicht gerecht, denn unser Ziel ist, Bedürftigen zu helfen. Wir finanzieren uns über Privatspenden, Fördergelder, Stiftungsgelder und Gebühren der Kliniken. Die Hauptvision ist, dass wir unterstützt werden von den großen Institutionen, vom Bundesgesundheitsministerium und den Krankenkassen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin und das Sana-Klinikum Lichtenberg, wo Lisanne Knop als Ärztin arbeitet, unterstützten uns von Anfang an. Wir arbeiten seit diesem Monat mit dem Bundesgesundheitsministerium in einem Forschungsprojekt zusammen, um zu testen, ob man mit Künstlicher Intelligenz eine Unterstützung für Sprachmittler entwickeln kann.

Wollen Sie die Hotline also weiter ausbauen?
Im Augenblick bedienen wir 35 Einrichtungen in Deutschland und Österreich, darunter Kliniken und Organisationen wie Ärzte der Welt oder der Caritas-Dienst für Obdachlose, das Krankenmobil. Das wächst stetig. Die Kliniken zahlen dafür eine Flatrate und können so oft anrufen, wie sie wollen. Das sind oft ganz kurze Gespräche, die aber lebenswichtige Details klären, etwa: Ist der Patient nüchtern vor der Untersuchung? Im Augenblick ist unsere Telefonnummer nicht öffentlich. Wo wir eigentlich hinwollen: dass es eine Nummer gibt, ganz einfach, die wir öffentlich machen und die bundesweit genutzt werden kann. Kranke dürfen niemals sprachlos sein.

Jetzt fehlt nur noch die Übersetzung Arzt – Mensch. Denn ich verstehe meinen Arzt manchmal auch dann nicht, wenn er deutsch spricht.
Das gibt es schon: »Was hab ich?« Hier übersetzen ähnlich wie bei uns dezentral fachkundige Menschen die Arztbriefe in Laiensprache. Gemeinnützig und gegen Spende. Zudem haben Sie den Patientenbrief entwickelt und sind preisgekrönt. Wir kooperieren eng, denn wir ziehen am gleichen Strang, einer Medizin auf Augenhöhe zwischen Arzt und Patient.