Pilz statt Pils?

Schon einige Alkoholiker, bei denen herkömmliche Therapien versagt hatten, konnten erfolgreich mit »Magic Mushrooms« behandelt werden. Jetzt haben Forscher herausgefunden, was dabei im Gehirn passiert. Ein Durchbruch in der Suchttherapie?

Der »Kubanische Kahlkopf« (lat. Psilocybe cubensis) ist ein in der Natur vorkommender Pilz, der den Wirkstoff Psilocybin enthält.

Foto: Alexander Volov/istockphoto.com

Das Problem: Viele Alkoholiker können mit den gängigen Therapien nicht von ihrer Sucht geheilt werden.
Die Lösung: Forscher haben erfolgreich Psilocybin gegen Alkoholsucht eingesetzt und nun erstmals nachweisen können, warum diese Therapie funktioniert.

Ralph Gerber (Name geändert) hat so ziemlich alles versucht, was ein wohlhabender Alkoholiker in gut zwei Jahrzehnten Alkoholsucht versuchen kann: ein halbes Dutzend Aufenthalte in Entzugskliniken, regelmäßige Treffen bei den Anonymen Alkoholikern, eine von Schamanen geleitete Selbstfindungstour in der Wüste von Arizona, ja, ein Suchttherapeut zog sogar sechs Monate bei ihm ein – und trotzdem wurde der 48 Jahre alte Unternehmer immer wieder rückfällig. Seine Scheidung, Probleme in der Firma, der Corona-Lockdown – stets gab es einen Anlass, der ihn zur Flasche greifen ließ.

Im Frühjahr vergangenen Jahres entschied er sich für einen neuen, halblegalen Weg: Er flog nach Denver, um dort unter Aufsicht eines Therapeuten Psilocybin zu nehmen, den halluzinogenen Wirkstoff, der in sogenannten »Magic Mushrooms« enthalten ist. »Es war eine Reise in mein Innerstes,« versucht Gerber das Erlebnis in Worte zu fassen. »Ich wurde von Liebe überflutet und kam mit Gefühlen in Kontakt, die ich lange unterdrückt hatte.« Der »Trip« war nach ein paar Stunden wieder vorbei, als dauerhafter und hochwillkommener Nebeneffekt dämpfte die Drogenerfahrung aber auch Gerbers Verlangen nach Alkohol. Sechs Monate später, als er den Eindruck hatte, die Wirkung lasse nach, flog er noch einmal hin und nahm eine zweite Dosis. »Ich bin seitdem trocken,« sagt er stolz, halb zuversichtlich, er könnte endlich das Ende seiner Sucht absehen, halb angstvoll, die Wirkung werde irgendwann verebben.

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Wie Gerber setzen immer mehr Süchtige, aber auch Therapeuten und Forscher auf Psychedelika als Therapeutikum. Prestigeträchtige Institute wie die Johns Hopkins School of Medicine und die Yale University erforschen den medizinischen Nutzen und melden erste Belege für nachhaltig positive Bewusstseinsveränderungen. »Das Interessanteste an den Psychedelika ist, dass sie vermutlich bei mehreren Diagnosen angewendet werden können,« sagt Roland Griffiths, der als Leiter des Johns Hopkins Zentrums für Psychedelika- und Bewusstseinsforschung Psychedelika für so diverse Diagnosen wie Depression, Nikotinsucht, Magersucht und Alzheimer erforscht. Er nennt die bisherigen Ergebnisse »sehr überzeugend.« 

Fast 1,8 Millionen Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren sind in Deutschland alkoholabhängig. Wie Gerber kämpfen viele vergeblich darum, eine dauerhaft erfolgreiche Behandlungsmethode zu finden. Im Forschungsverbund PsiAlc haben sich 2018 vier Universitäten aus Deutschland, der Schweiz, Italien und Frankreich zusammengeschlossen, um zu erforschen, ob und wie Psychedelika bei der Therapie von Alkoholsucht zum Einsatz kommen können. 

Eine einmalige Gabe von Psilocybin reichte im Tierversuch, um das Suchtverhalten zu verändern. Sollten sich diese Resultate auch beim Menschen bestätigen, wäre das ein Durchbruch in der Suchttherapie

Während Alkoholabhängige wie Gerber von emotionalen Erfahrungen unter Psilocybin-Einfluss schwärmen, hat eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Marcus Meinhardt am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim nun erstmals den Mechanismus nachgewiesen, warum Psychedelika das Potenzial haben, Süchtigen zu helfen: Bei vielen Alkoholabhängigen, auch bei Kokain- und Nikotinsüchtigen, ist ein bestimmter Glutamat-Rezeptor (mGluR2) im Gehirn geschädigt. Vereinfacht zusammengefasst vergleicht Meinhardt den Rezeptor mit »einer Antenne, die Signale im Gehirn empfängt. Wenn diese Signale nicht mehr verarbeitet werden, kommen Verhaltensmuster zutage, die man nicht mehr unterdrücken kann, etwa das Verlangen nach Alkohol. Mittels Psilocybin können wir diese Antenne wieder funktionsfähig machen.« 

Mit anderen Worten: Eine einmalige Gabe von Psilocybin reichte im Tierversuch, um das Suchtverhalten zu verändern. Sollten sich diese Resultate auch beim Menschen bestätigen, wäre das ein Durchbruch in der Suchttherapie. »Wenn man bedenkt, dass viele Süchtige zwei bis drei Mal am Tag zur Therapie Medikamente nehmen, und das auf Jahre oder gar auf Lebenszeit, wäre das ein bahnbrechender Erfolg,« sagt sogar der eher zurückhaltende Forscher Meinhardt, warnt aber vor übertriebenen Hoffnungen: »Wir müssen mehr forschen: Wie lange hält der Effekt an? Was genau tut sich im Gehirn? Wirkt Psilocybin nur auf das Gehirn oder im ganzen Körper? Das ist alles noch ungeklärt.«

Wichtig ist für Meinhardt, nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen: »Das hatten wir ja schon mal in den 50er und 60er Jahren, dass viel an LSD geforscht wurde, mit sehr starken Ergebnissen zur Therapie von Alkohol- und Heroinsüchtigen.« Allerdings gelangte LSD aus dem akademischen Bereich damals schnell in die Gegenkultur und wurde von Hippies als Allheilmittel zur Befreiung von psychischen und gesellschaftlichen Zwängen verklärt. Als LSD 1971 in Deutschland zur illegalen Substanz erklärt wurde, versiegten die Forschungsgelder, und bewusstseinserweiternde Drogen fand man nun nur noch im Untergrund. »Ich meine, das Problem war, dass die Menschen und die Forscher damals zu euphorisch waren«, erklärt Meinhardt. »Aus diesen Fehlern muss man lernen und solide Forschung betreiben, bevor man die Therapie legalisiert.«

Die US-Städte Denver, Oakland und Washington D.C. haben die therapeutische Gabe von Psychedelika bereits legalisiert; weitere Städte und Staaten wie Kalifornien wollen folgen, obwohl LSD und Psilocybin auf Bundesebene in den USA weiterhin streng verboten bleiben. In der Schweiz können Psychiater die Gabe von Psychedelika bei besonders schwer therapierbaren Fällen von Depressionen oder posttraumatischen Belastungen beantragen, aber auch bei schwerren Suchterkrankungen.

Meinhardt hat in den letzten drei Jahren an Ratten geforscht und plant nun den Antrag auf Forschung am Menschen. Eine der Forscherinnen im PsiAlc-Verbund, die Neuropsychologin Katrin Preller, hat an der Uni Zürich eine Psilocybin-Studie mit sechzig depressiven Patient*innen abgeschlossen; eine weitere mit ebenso vielen Alkoholiker*innen läuft derzeit. So viel kann sie schon verraten: »Die Ergebnisse sind sehr, sehr vielversprechend.« Sie zeigen, »dass es den Patientinnen und Patienten mit psychischen Erkrankungen besser geht, nachdem sie ein- oder zweimal medizinisch begleitete Erfahrungen mit Psychedelika gemacht haben.« Gleichzeitig aber gibt sie zu, dass selbst Experten wie sie bisher nicht genau wissen, was die Drogen genau an Veränderungen bewirken: »Um wirklich von Wirksamkeit zu sprechen, brauchen wir größere, kontrollierte Studien. So weit sind wir noch nicht.« Eines der immanenten Probleme bei doppelt kontrollierten Studien ist, dass Pilz- und die Placebo-Vergleichsgruppen meistens merken, ob sie ein Halluzinogen bekommen haben oder nicht. Und dass große Studien fehlen, liegt daran, dass es über Jahrzehnte extrem schwierig bis unmöglich war, Genehmigungen für Psychedelika-Studien zu bekommen.

Und natürlich gibt es auch Risiken: Psychedelika können Psychosen auslösen oder Herzbeschwerden. Deshalb werden in den meisten aktuellen Psilocybin-Studien, auch in Zürich, Patienten mit Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Psychosen ausgeschlossen. »Eine einmalige Gabe unter ärztlicher Aufsicht ist etwas ganz anderes als eine chronische, oder wenn man Psychedelika auf einem Festival einnimmt«, erklärt Preller.

Trotzdem gibt es eine wachsende Bewegung von Befürworterinnen der Legalisierung, die darauf hinweisen, dass Psychedelika nicht süchtig machen, während die zerstörerischen Folgen der legalen Droge Alkohol gut dokumentiert sind. »Ich habe angefangen zu trinken, als ich ein Teenager war«, sagt Ralph Gerber. »Wenn ich das vergleiche, kann ich nur sagen: Der Alkohol hat alles zerstört, was mir wichtig war – meine Gesundheit, meine Ehe, meine Beziehungen. Die Pilze haben mir zumindest die Möglichkeit gezeigt, dass ich nochmal die Kurve kriegen kann.«