Das Problem: Normale Baumaterialien wie Isolationsschaum sind umweltschädlich und verrotten oft Hunderte von Jahre nicht.
Die Lösung: Schwammerl.
Der Traum eines jeden Häuslebauers: Einige Maisstengel mit Hanf und Pilzwurzeln mischen, die lose Mischung in entsprechend geformte Tröge füllen - und dann wächst das Baumaterial ganz von alleine. In fünf Tagen!
Das ist, stark vereinfacht, der Prozess der Mykotektur, also der Architektur mit Pilzen. Schwammerl und Gebäude sind normalerweise nichts, das Architekten gerne in einem Atemzug nennen. Aber der New Yorker Architekt David Benjamin hat seine Firma extra »The Living« getauft, weil er genau das will: die Architektur buchstäblich zum Leben erwecken. »Biologische Systeme sind anpassungsfähig, leben, atmen, regenerieren sich selbst. Stell dir vor, Gebäude hätten diese Eigenschaften! Das würde unseren Lebensstil radikal ändern«, sagt er.
Benjamin träumte von einer dynamischen Architektur, die mit ihrer Umgebung kommuniziert, bis ihm klar wurde, dass er auch tatsächlich lebende Organismen in seine Arbeit integrieren kann. »40 Prozent der Abfälle in unseren Mülldeponien sind Bauschutt«, sagt er. »Wir Architekten bauen ja gerne für die Ewigkeit, mit Stahl und Beton, aber nicht alle Gebäude müssen für die Ewigkeit gebaut werden und wenn man sich die Mülldeponien anschaut, stellt man fest: Vielleicht ist es besser, dass wir uns Materialien suchen, die nicht Hunderte oder sogar Tausende von Jahren lang in den Deponien sitzen.«
Deshalb wurde er hellhörig, als er von der speziellen Technologie der New Yorker Firma Ecovative erfuhr: Die presst umweltfreundliche Verpackungen aus Getreidehalmen und Pilzwurzeln (Myzelien) für große Unternehmen wie Dell und Puma. Der Prozess ist faszinierend: Die weißen Pilzwurzeln agieren wie ein natürlicher Klebstoff, wachsen, bis sie alle Zwischenräume der Gussform ausgefüllt haben, dann trocknet der Hersteller das Produkt. Das Ergebnis ist stabil, kompakt und belastbar. Damit stellt Ecovative seit neun Jahren Verpackungen und Isolierschaum her.
»Diese Materialien sind feuerabweisend, biologisch abbaubar, und verbrauchen bei der Herstellung so gut wie keine Energie«, sagt Eben Bayer, der Co-Gründer von Ecovative. »Pilze sind das Plastik der Natur.« Schon jetzt ersetzen sie zuverlässig Schaumstoffe in Bechern und Isoliermaterial. »Styropor ist giftiges Zeug«, sagt Bayer. »Nach einem Kaffee schmeißen wir den Becher in den Müll und dann bleibt er uns Tausende von Jahren erhalten. Das Recycling-System der Natur ist dagegen perfekt.«
Inzwischen produziert Bayers Unternehmen zudem ein holzähnliches Material aus den Pilzwurzeln, Stühle, Verpackungsmaterial für Flaschen, und eine besonders mutige Braut hat sich sogar ihr Brautkleid aus Pilzwurzeln wachsen lassen. Auch Do-it-yourself-Kits gibt es mittlerweile, mit denen kann man sich zuhause in fünf Tagen einen weißen Lampenschirm aus Pilzen für eine Bürolampe basteln. Sogar das amerikanische Verteidigungsministerium interessiert sich für Ecovative: Wenn ein Soldat im Einsatz verwundet wird, könnten Sanitäter vor Ort einen Schutzraum aus dem Pilzmaterial wachsen lassen.
Als David Benjamin, der Architekt, vor einigen Jahren gebeten wurde, einen Entwurf für eine MoMA-Ausstellung einzureichen, fasste er den Entschluss, die Pilztechnik für einen Turm zu nutzen. Mit Hilfe von Ecovative und den Laboren der Columbia Universität ließ er die Myzelien mit Getreidehalmen zu Ziegelsteinen wachsen. Er gewann den Ideen-Wettbewerb und baute für das MoMa einen 13 Meter hohen Turm, den ersten Pilzturm der Welt. Der »Hy-Fi« wurde nach drei Monaten wieder abgebaut und vermoderte rückstandslos zu Kompost. Der Turm sei zwar kein Vorläufer für umweltfreundlichere Wolkenkratzer, wie einige Architekturblogger gleich begeistert jubelten, sagt Benjamin - aber ein zukunftsweisendes Modell, wie sich organisches Material in den Bau integrieren ließe.
Und er arbeitet weiter an dieser Vision: Für die Musikerin Björk kreierte Benjamin im MoMA einen Raum aus unzähligen schwarzen Filzhüten, von denen sich jeder einzelne den Tönen von Björks Song »Black Lake« anpasst - als sei er lebendig. Für Airbus nahm er sich Schleimpilze zum Vorbild, Einzeller, die sich zu riesigen Gebilden zusammenschließen können, und druckte mit einem 3D-Drucker das leichteste und größte bionische Trennteil, das jemals für ein Flugzeug designt wurde, um Benzin zu sparen. Für die Architektur-Biennale in Venedig setzte er in Venedigs Kanälen lebende Muscheln ein; die Geschwindigkeit, mit der sie sich öffnen und schließen, gibt Aufschluss über die Wasserqualität. Benjamin wird die Muscheln nun in zwei Projekten am Hudson River in New York nutzen und ihre Signale mit Licht verstärken. Jeder Spaziergänger kann dann an der Muschel-Atmung ablesen, wie sauber das Wasser ist.
Das lebendigste Beispiel: Für das Art Institute in Chicago hat er eine Glaswand mit lebenden Fröschen, Algen und Schlangen gebaut. »Normalerweise haben Doppel- oder Dreifach-Fenster einfach Luft-Zwischenräume. Ich dachte, wir könnten die Zwischenräume nutzen, indem wie sie vergrößern und Aquarien daraus machen. Wir schaffen also eine Mini-Version eines Ökosystems.« Der Clou: »Frösche tauchen öfter zum Atmen nach oben, wenn der Sauerstoffgehalt im Raum geringer ist. Wir nutzen die Frösche als Sensoren für den Sauerstoff im Raum. Jedes Mal wenn sie nach oben schwimmen, triggert das automatisch das Hineinlassen von Sauerstoff von außen in den Raum.« Tierschützer will er beruhigen: Den Tiere gehe es so gut wie in jedem Aquarium.
Benjamin gefällt der unberechenbare Aspekt seiner Kreationen: »Design mit organischem Wachstum heisst, dass wir keine vollständige Kontrolle über den Prozess haben. Wenn wir Architekten uns damit anfreunden können, bauen wir vielleicht bessere Strukturen.«
Foto: Amy Barkow, Courtesy The Living