Das Lied der Nacht

Weiter, immer weiter auf dem Weg ins Morgen: Warum nichts schöner ist als auszugehen, bis es wieder hell wird.

Hitze. In der Stadt, im Sommer, bringen manchmal nicht einmal die Nächte Linderung. Gestern, bei Sonnenuntergang, schien es, als würde das Wetter umschlagen – kleine Böen bauschten Sommerkleider auf und verschafften den Männern flüchtige Blicke auf blasse Oberschenkel. Der Wind roch nach Regen, und man wünschte sich ein Sommergewitter, das den Asphalt sauber waschen und die Stadt mit diesem Duft nach heißem, nassem Stein füllen würde. Aber der Regen kam nicht, der Wind legte sich, und heute ist es schwül und heiß. Auch noch am Abend.

Du kommst von der Arbeit nach Hause, in deine kühle Wohnung. Du bist keine zwanzig mehr und weißt, es wäre klug, einfach zu Hause zu bleiben, Fernsehen zu gucken, Essen beim Chinesen zu bestellen, ins Bett zu gehen. Aber da geschieht etwas draußen in der Nacht, du fühlst es, du hörst es durch die geschlossenen Fenster. Die Menschen in den Straßencafés essen Tapas und trinken Cocktails und Bier. Du hörst das Lachen der Frauen, das Klicken ihrer High Heels auf der Straße. Die Stadt erwacht aus der Starre, in der sie tagsüber gelegen hat. Und in dir erwacht auch etwas.

Du gehst duschen, drehst erst das warme, dann das kalte Wasser auf, damit es dich wachrüttelt. Du schlüpfst in Jeans und Hemd, rollst die Ärmel hoch, schnappst dir ein Taxi, um deinen alten Freund Zoo zu treffen. Ein schneller, eiskalter Schnaps, ein Bier, das nächste Taxi, zur nächsten Bar. Wer in Bewegung ist, schafft sich seine eigene Brise, und so läufst du mit großen Schritten über den Gehsteig. Ziehst gleich mit der Energie der Stadt, dem Dröhnen und Summen, dem Hupen der Autos, den heulenden Sirenen der Krankenwagen, jeder will irgendwohin, und du willst auch weiter, egal wohin.

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Kein Ort ist gut genug, um zu bleiben. Immer könnte es woanders noch besser sein. In dem Rhythmus jagst du weiter, auf der Suche nach etwas, wofür du selbst keinen Namen hast. Eine fast manische Suche ist das, vielleicht lächerlich, aber sie fühlt sich eben verdammt gut an.

Eine neue Bar, ganz oben auf dem Dach. Deine Freunde sind auch alle hier gelandet, Zoo, Tako und Bill. Zoo streift seine Schuhe ab und reibt seine Fußsohlen über das Kunstgras. »Es kommt nicht darauf an, wohin du gehst«, philosophiert er und lehnt sich zurück, »sondern auf die Leute, mit denen du unterwegs bist.« Stimmt. Es sind die Freunde, die diese Stunden so wertvoll machen. Nachts, in den Bars und in den Clubs, hast du das Gefühl, du liebst diese Leute und sie lieben dich auch; und dass es nur darum geht. Irgendwann wart ihr schon in sieben oder acht Bars, aber Zoo war immer noch nicht zufrieden auf seiner Jagd nach dem perfekten Ort. Und obwohl diese Bar auf dem Dach eigentlich perfekt ist, werdet ihr natürlich bald aufbrechen, weiterziehen, ziemlich sicher, ziemlich bald.

Die letzte Station ist ein Nachtclub. Kein schlechter Ort für die Stunden nach Mitternacht. Es gibt nur einen Grund, in einen Club zu gehen: zu tanzen. Sicher, es sind schöne Frauen unterwegs (aber meistens sind sie unnahbar); es gibt Drinks (aber meistens sind sie unerschwinglich); deine Freunde sind da (aber meistens ist es so laut, dass Unterhaltungen unmöglich sind). Vom Tanzen wiederum kann dich nur die Angst abhalten, dich lächerlich zu machen.

Es schadet nichts, sich ab und zu lächerlich zu machen. Es ist eine Wohltat, einfach zu tanzen, auf und ab zu hüpfen wie ein Idiot, und die laute Musik macht dich wieder nüchtern.

Obwohl du die ganze Zeit versucht hast, der Hitze der Nacht zu entkommen, bist du mittendrin gelandet, dort, wo es am heißesten ist, im Zentrum der Tanzfläche. Und hier ist es wirklich tropisch, in jeder Hinsicht. Hunderte Wilde zappeln zu den Beats, um dich herum nur Körper, so viele auf so engem Raum, als würde keiner von euch mehr einzeln existieren, sondern sich in der Menge auflösen, und es ist ein gutes Gefühl, die Sorgen wegzutanzen, alles auszuschwitzen, bis du nicht mehr kannst.

Als du zum Tisch zurückkommst, an dem du Zoo und die anderen zurückgelassen hast, sind sie weg. Alle. Du schaust auf die Uhr, fünf Uhr morgens, und du könntest jetzt noch weiterziehen. Aber, hey, so jung bist du nicht mehr, die Nacht auch nicht mehr, und der Sommer neigt sich bald dem Ende zu.

Du trittst auf die Straße, der Sommerhimmel, dunkelorange, wird zunehmend blasser, die drei Sterne, die man sogar im Nachthimmel über der Großstadt sehen kann, sind verschwunden. Mit der Morgendämmerung weht die kühle Luft in die Stadt herein, nach der du dich die vergangenen Stunden gesehnt hast. Es ist klar und frisch und ruhig.

Foto: photocase/misterQM