Mehrere Monate lang war Johannes Böhme immer wieder an diesem Garten vorbeigelaufen, in Berlin-Neukölln, in einer Gegend, in der das Wort Problem nie weit ist. Unser Autor setzte sich auf eine Bank. Beobachtete zwei Jungs, die zu einer Statue aus Bronze hinaufstaunten. Die Statue verkörpert Johann Amos Comenius, einen mährischen Philosophen des 17. Jahrhunderts. Für Comenius war Seele ein Garten, angelegt von Gott, vollendet durch Erziehung. Und Böhme fragte sich: Was ist dieser Garten?
Es gibt in diesem Garten noch eine Statue, aber diese andere Statue lebt. Es ist Henning Vierck, ein zwei Meter hoher Mann mit prächtigem Bart. Vierck fing vor gut zwanzig Jahren mit dem Garten an. Er wollte, dass der Garten das umsetzt, was Comenius sich gedacht hatte. Ein Garten als Heilstätte der Seele, für all die Kurden, Türken, Libanesen, Libyern, Roma, Serben, Kosovaren, Ukrainer, Syrer und Deutsche, die in der Gegend leben. 7000 Quadratmeter Garten als wahrgewordene Metapher.
Und was ist dieser Garten nun? Pflanzlich beantwortet: Dort wachsen Äpfel, Birnen, Pflaumen (gelbe, grüne und violette), Mirabellen, Kirschen, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Maulbeeren, Renekloden, Quitten, Brombeeren, Walnüsse und Haselnüsse. Durch den Garten fließt ein Bach. Es gibt einen Teich und einen Rosengarten.
Aber die eigentliche Antwort geben die Kinder und Jugendlichen, die im Garten wie Pflanzen heranwuchsen. Als Ali Kaya das erste Mal im Garten war, stieg er auf einen Baum und brach einen Ast ab. Vierck hat ihn an den Schultern gepackt, geschüttelt und angeschrien: »Nie wieder machst du das! Hörst du!« Das nächste Mal bekam er von Vierck einen Apfel und Wasser. Später in der Pubertät kam Ali Kaya in den Garten, wenn sein Vater ihn nachts nicht mehr ins Haus ließ. Sein Vater ist der Imam der Moschee nebenan. Ein strenger Mann, der nicht wollte, dass sein Sohn sich zu lange draußen herumtreibt, und der die Tür abschloss, wenn Ali bis Mitternacht nicht zurück war. Im Sommer nahm Ali sich dann eine Decke und übernachtete im Comenius-Garten, über ihm die Äste der Birn- und Apfelbäume. Henning Vierck, sagt Kaya heute, »war für mich wie ein Vater. Er hat uns aufgenommen, selbst als alle anderen mit uns nichts zu tun haben wollten.« Kaya gab im Garten auch sein erstes Rapkonzert. Vierck hatte es organisiert. Am Ende beschwerten sich die Politiker von SPD und CDU, die auch gekommen waren, über die gewaltverherrlichenden Texte. Vierck war das egal, solange es bei Worten blieb. Gewalt verabscheut er.
Wie auch immer das möglich ist: Der Garten hat vielleicht viele gerettet. Ihn auf jeden Fall, sagte Henning Vierck unserem Autor Johannes Böhme am Ende.
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Foto: Tobias Kruse