Wenn Sie wissen wollen, wie Verantwortung von ganz oben nach ganz unten durchgereicht wird, wie eine heiße Kartoffel, müssen Sie jetzt nur an einem dieser herrlich sonnigen Oktobertage spazieren gehen, vielleicht das ein oder andere Herbstgedicht von Heine, Mörike oder Trakl stumm zitierend – und zack, schon ist es passiert! Sie sind auf nassem Laub ausgerutscht und haben sich auf dem Gehsteig der Länge nach hingelegt, sich die eingesauten Klamotten abgeklopft, mit der Zunge Blut von der Lippe gewischt und sich gefragt: Muss ich mir das eigentlich bieten lassen? Und: Warum kümmert sich kein Mensch um die Gefahren, die im Herbstlaub lauern?
Man lernt schnell: Schon die Frage ist falsch. Es kümmern sich theoretisch eine Menge Menschen darum, Gemeinden, Behörden, Versicherungen, Eigenheimbesitzer, Mieter, Gerichte, Verbraucherzentralen – doch am Ende ist es, wie es meistens ist: Keiner ist allein zuständig. »Glatteis ohne Frost« nennen Haftpflichtversicherer das Herbstlaub auf Gehsteigen, weil Blätter bei Nässe eine glitschige Schicht bilden. Wer ist dafür zuständig, dass nichts passiert?
Die Gemeinden? Die verhalten sich im Herbst wie im Winter, für Gehsteige sind sie nicht zuständig, sondern haben diese Aufgabe an die Eigentümer der Grundstücke übertragen. Die Eigentümer wiederum vereinbaren üblicherweise mit ihren Mietern, dass diese für Sauberkeit auf dem Bürgersteig zuständig sind. Nur: Was heißt Sauberkeit? Einmal die Woche Laub kehren genügt in der Regel, sagen Verbraucherzentralen. Aber wer zahlt, wenn wirklich ein Spaziergänger ausrutscht und sich verletzt? Schon herrscht Streit. Und Richter müssen im Einzelfall prüfen und entscheiden, ob der Fußgänger den Unfall nicht durch allzu sorgloses Verhalten mitverschuldet hat. Allzu sorglos könnte zum Beispiel heißen, dass einer während des Spaziergangs alle Urteile zu Unfällen infolge von »Glatteis ohne Frost« studiert, die jemals auf Schadensersatzanspruch erkannten.
Nun könnte es sein, dass der Mieter genau zum Zeitpunkt des Unfalls in Urlaub ist, aber in seiner großen Umsicht eine Laubentfernungsvertretung für die Zeit seiner Abwesenheit beauftragt hat. Frage: Muss der Mieter nun seinen Urlaub unterbrechen, um zu prüfen, ob die Vertretung ihre Arbeit korrekt erledigt. Nein, muss er nicht. Das hat das Oberlandesgericht Köln, Aktenzeichen 26 U 44/94, entschieden. Bis heute ein häufig zitierter Urteilsspruch zum Thema. Rein rechtlich aber bleibt der Eigentümer verantwortlich dafür, dass vor seinem Haus alles sauber ist. Ein Passant, der sich beim Ausrutschen weh tut, kann sich also an den Eigentümer halten, der sich wiederum an den Mieter wenden wird, ob der nun in Urlaub ist oder nicht. Hoffentlich sind alle gut versichert.
Noch interessanter wird es, wenn der Unfall beim Herbstspaziergang vor einem Wohnkomplex mit Eigentumswohnungen passiert. Weil hier alle Eigentümer gemeinsam verpflichtet sind, Sorge zu tragen. Ein verunglückter Fußgänger kann sich, wenn er glaubt, berechtigte Ansprüche zu haben, an allen Eigentümern schadlos halten. Er kann sich sogar bloß einen von ihnen aussuchen; dieser muss dann zusehen, wie er das Geld von den übrigen Eigentümern zurückkriegt. Und jedem Spaziergänger sei mit auf den Weg gegeben, dass sich weder Eigentümer noch Mieter mit dem Verursacherprinzip herausreden können, womit sie oft schnell bei der Hand sind, weil angeblich das Laub, auf dem einer ausgerutscht ist, vom Nachbargrundstück herübergeweht wurde. Das zählt nicht als Ausrede!
Nun noch zum heiklen Thema »Besen bei Fuß«. Mögen die Gerichte noch so viele Grundsatzurteile sprechen, bei der Frage, welchen Umfang die Laubräumaktionen haben müssen, kommt es wieder auf den Einzelfall an: weil es den Hausbesitzern beziehungsweise Mietern nicht zuzumuten ist, den ganzen Tag »Besen bei Fuß« zu stehen. Wer auf der sicheren Seite sein will, sollte also nicht vor sieben Uhr morgens und nicht nach 20 Uhr abends spazieren gehen. Lediglich in den 13 Stunden dazwischen muss für einen laubfreien Gehsteig gesorgt werden. Aber Sie bleiben jetzt eh lieber zu Hause, oder?