Einiges von dem, was der Koch da macht, klingt eher nach Mutprobe als nach Mahlzeit, aber er lernt ja noch. Vor drei Jahren erst hat er erfahren, dass er jetzt kochen soll. Davor hatten sie ihn eine ganze Weile ganz anders eingesetzt, sie hatten ihn in Quizshows geschickt, wo er triumphierte, weil er sich mit seinen 16 Terabyte Arbeitsspeicher (ein üblicher Computer hat zwei bis vier Gigabyte) natürlich sehr viel mehr merken kann als ein Mensch. Danach haben sie ihn medizinische Daten von Amerikanern auswerten lassen, weil er in großen Datenmengen die Gemeinsamkeiten einzelner Daten viel schneller findet als ein Mediziner, der vor Krankenakten sitzt. Aber das mit dem Kochen war neu. Und natürlich ein Marketingcoup seiner Herstellerfirma IBM. Denn: Ein Computer, der so etwas Sinnliches macht, wie Essen zuzubereiten, wirft Fragen auf: Muss man dafür nicht fühlen können – oder wenigstens sehen, schmecken, riechen?
Kein Wunder, könnte man nun sagen, dass da so merkwürdige Gerichte wie Rehrücken mit gebratener Banane und Rosenkohlcurry herauskommen. Oder Fenchel-Tacos mit Senfsauce. Oder Ravioli mit Apfel-Käse-Füllung in Misosuppe.
Watson ist ein sehr intelligenter Computer. In den USA ist er eine Berühmtheit, seit er 2011 bei einer Quizshow gewann, Jeopardy, sein erster großer Auftritt seit der Entwicklung. Nach diesem Erfolg fütterten die Programmierer den Computer, der seit jeher Watson heißt und nun eben noch den Titel Chefkoch trägt, mit Rezepten. Mehrere Zehntausend kennt er inzwischen. Außerdem weiß Watson alles über die chemische Zusammensetzung von Lebensmitteln und hat gelernt, welche Zutaten sich besonders gut miteinander vertragen: etwa Zwiebeln und Rotwein, Gin und Oliven oder Rosmarin und Kartoffeln.
Und welche Weltküchen auf welchen Gewürzen basieren und welche Lebensmittel sie häufig verwenden: Ingwer, Chili, Fischsauce würzen anders als Salz und Pfeffer und treffen eher auf Reis als auf Kartoffeln. Nur, wenn dieser Superrechner so viele Informationen darüber hat, was gut zusammenpasst, warum kombiniert er dann so wild? Weil er es soll. Und das ist seine Besonderheit. Watson ist kein schnöder Rechner, der nur die Formeln lösen kann, die gespeichert wurden. Sein Vorgehen nennt sich Cognitive Computing: Er operiert nicht über binäre Codes, sondern über Sprache. Man kann ihn in ganzen Sätzen befragen, nicht nur in Zahlenkolonnen. Dieser Computer soll kreativ werden. Nicht so wie ein menschlicher Hobbykoch an einem Sonntagabend, der Ziegenfrischkäse für die Sauce hernimmt, weil die Sahne alle ist. Nicht aus Mangel an Alternativen. Sondern in genauer Kenntnis aller Zutaten. Erst Milliarden von Daten bringen ihn auf Ideen wie indische Paella auf Kurkuma-Basis.
Watson kennt mehr Rezepte als jeder andere Koch und er weiß, welche Komponenten darin den guten Geschmack dieses Gerichts ausmachen. Und dieses Wissen nutzt er, um Lebensmittel zusammenzubringen, die nie zusammengebracht wurden. Innovatives Kochen. Und Kochen über Ländergrenzen hinweg: In Watsons Rezeptefundus wird ein Dressing aus Erdnussbutter, Reisessig und Sesamöl auch mal über Rosenkohl und Kartoffeln gekippt statt über Reis mit Hähnchen. Und das ist modern: Wenn man konventionell bekocht wird, befindet man sich aller Wahrscheinlichkeit nach in einem Wirtshaus. Im Restaurant dagegen werden über alle Speisen Granatapfelkerne gestreut oder Kressereduktion geträufelt. Erbsensuppe mit Pernod, Wild mit Schokoladensauce, Nudeln mit Lakritzgeschmack – steht inzwischen alles auf Speisekarten. Gewöhnliches ist aus. Wenn man nicht mindestens eine Zutat von der Karte googeln oder zumindest den Kellner nach der richtigen Aussprache fragen muss, wirkt ein Restaurant schnell uninteressant. Watson kocht genauso – eigentlich klar, dass der Computer schon ein eigenes Koch-buch rausgebracht hat.
Illustration: Studio Takeuma