Darf ich verreisen, obwohl es meinem Vater schlecht geht?

Unsere Leserin plant eine Familienreise nach Kalifornien, hat aber ein schlechtes Gewissen dabei, ihren pflegebedürftigen Vater zurückzulassen. Unsere Kolumnistin Johanna Adorján weiß Rat, auch wenn der ambivalent ausfällt.

Illustration: Serge Bloch

»Mein Vater, bald 83, ist seit fünf Jahren ein Pflegefall. Meine Mutter ist rund um die Uhr für ihn da, unterstützt von einem Pflegedienst und mir. Nun wollen mein Mann und ich mit unseren bald erwachsenen Kindern nach Kalifornien. Das erste Mal USA. Ja, der Zeitpunkt ist mehr als ungünstig, nur war uns das am Anfang des Jahres so nicht bewusst. Mein Mann hat in den letzten Jahren monateweise dort gearbeitet und wollte uns zeigen, wo er da immer unterwegs ist. Flug und Hotels sind gebucht und größtenteils bezahlt. Je näher die Reise rückt, desto mehr versucht mir meine Mutter die Reise auszureden. Sei es der Gesundheitszustand meines Vaters oder die weltpolitische Lage. Mein Mann und meine Kinder freuen sich auf den Urlaub, ich bin hin- und hergerissen.« Cornelia P., Gröbenzell

Sie sind eine erwachsene Frau mit eigener Familie. Sie sind gleichzeitig Tochter immer fragiler werdender Eltern. Was Ihren Urlaub angeht, müssen Sie sich zwischen diesen beiden Rollen entscheiden. Ab einem gewissen Alter weiß fast jeder, wie schwer das ist. Leider gibt es hier kein eindeutiges Richtig oder Falsch. Sie können nur abwägen. Was Ihre Mutter über die weltpolitische Lage sagt, können Sie knicken. Darunter könnte aber die Sorge liegen, dass sie ohne Sie nicht zurechtkommt. Wie lange werden Sie weg sein, ein paar Wochen? Wie sieht die Versorgungslage Ihres Vaters in diesem Zeitraum aus? Kann der Pflegedienst dann öfter kommen, wäre alles, was zu organisieren ist, im Voraus zu organisieren? Möglicherweise befürchten Sie, dass Ihr Vater genau in dieser Zeit sterben könnte. Aber das weiß man nie. Ich kenne erwachsene Kinder, die jahrelang permanent damit gerechnet haben, die Urlaube abgebrochen haben oder gar nicht erst weggefahren sind, um sich von ihrer schwerkranken Mutter zu verabschieden, wieder und wieder, bis die schließlich, als im Grunde niemand mehr damit rechnete, viele Jahre nach dem ersten Abschiedsbesuch tatsächlich starb. Wenn Sie das für möglich halten, könnte man Ihr Zögern natürlich gut verstehen. Im Notfall müssten Sie die Reise abbrechen, aber man kommt ja von fast überall vermutlich binnen 24 Stunden nach Hause.

Wenn ich Sie wäre, würde ich wahrscheinlich fahren. Wenn ich ich wäre, würde ich wahrscheinlich nicht fahren oder wenn, dann mit einem höllisch schlechten Gewissen. Kommt natürlich auch auf Ihre Persönlichkeit an – und auf die Ihrer Mutter. Ob die Ihnen am Ende Ihren Urlaub, Ihre Freiheit, Ihr Glück missgönnt. Könnte man unter Umständen aus Ihrer Frage herauslesen. Dann natürlich: unbedingt fahren! Und noch ein Gedanke: Es hilft jedem Pflegenden, auch mal rauszukommen.