»Ich bin eine enge Freundschaft mit einem strenggläubigen Katholiken eingegangen. Nun offenbarte er mir, dass er der Bibel wegen homophob sei, woraus ein heftiger Streit entbrannte. Um unsere Freundschaft nicht zu gefährden, beschlossen wir, das zu vergessen. Trotzdem merke ich, dass ich seitdem immer weniger Sympathie für ihn empfinde. Bin ich seiner Meinung gegenüber nicht offen genug?« Sophie W., per E-Mail
Oh je, schwierig. Ich kann Sie so gut verstehen. Die Hälfte meiner Meinungen zu diesem Thema (Religion) würde ich mich niemals trauen, öffentlich zu äußern, na gut, sagen wir weit mehr als neunzig Prozent. Ich fürchte, wäre ich Sie, würde mich so etwas dermaßen befremden, dass ich an einer weiter-gehenden Freundschaft nicht interessiert wäre, jedenfalls nicht an einer engen.
Ich wünschte allerdings, wir könnten dies an einem ungestörteren Ort diskutieren. Dann könnte ich Sie auch etwas kennenlernen und vielleicht den Ansatz eines Urteils über Ihr Freundschaftsleben fällen, oder, lieber noch, eine Ahnung davon bekommen, was Ihnen wichtig ist. Es gibt ja genug Leute, denen es nichts ausmacht, mit offiziell ausgewiesenen Vollidioten befreundet zu sein. Manche von ihnen reisen sogar mit Gitarre an, um bei deren Geburtstagspartys ein Ständchen zu spielen, wie kritisch die Akkorde im Nachhinein auch immer gewesen sein mögen. Aber auch da habe ich eigentlich keine Lust, mich in den Chor der moralisch Bessergestellten einzureihen. Sind Menschen, die Freunde, die bedauerlicherweise zu Idioten mutiert sind, fallenlassen, jemals wirklich Freunde gewesen? Überhaupt, was bedeutet eigentlich genau: Freundschaft. Am Ende ist es für jeden genauso etwas Unterschiedliches wie Liebe.
Hier meine Notlösung: Ich habe mich für Sie in meinem, ja, Freundeskreis umgehört. Die Meinung, die ich am schönsten fand: Menschen können sich ändern. Wer heute noch dem Bibelkreis angehört, kann morgen schon Hare Krishna singen oder sich im Umweltschutz engagieren. Die Welt wird so oder so untergehen und Sie und ich und Ihr Freund und wir alle sterben, also seien Sie nicht zu streng. Wenn Sie von diesem uneindeutigen, weil Sie nicht bevormunden wollenden Text nur eine Sache mitnehmen: Bitte öffnen Sie sich nicht Meinungen, die enger sind als Ihr Horizont und Ihr wunderschönes Herz.