Wenn Millionen Menschen ihre Wunden herzeigen

Echtes Leiden oder schon Narzissmus? Um Aufmerksamkeit zu bekommen, stellen immer mehr Menschen auf Social Media ihre intimsten Gefühle und Verletzungen aus. Ein Plädoyer für mehr Diskretion.

Schön, wenn jemand seine Gefühle zeigen kann. Unser Autor fragt sich allerdings: Muss es immer und überall sein?

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Ich war ein paar Tage im Kloster, eine Benediktinerabtei in Südfrankreich, eine Stunde nördlich von Marseille. Und obwohl es nicht mein erster Klosteraufenthalt war, obwohl ich wusste, was mich erwarten würde, war die Stille, diese quälende Stille, als hätte jemand plötzlich die Lautstärke abgedreht, wieder die größte Herausforderung. In den ersten Tagen tut sie weh, eine körperliche Erfahrung, kein Vergleich zur bloßen Abwesenheit von Geräuschen. Ein Gefühl der Isolation, des Abgetrennt-Seins, es beginnt im Kopf und wandert in jeden Winkel