Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis, dass Umfragen zum Thema Sex einem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse geschuldet sind. In Wahrheit läuft es meistens so: Journalisten denken sich eine Überschrift aus (»Mehrheit der Deutschen träumt von Sex im Fahrstuhl") und geben dann eine Umfrage in Auftrag, die durch mehr oder weniger suggestive Fragen die in der Überschrift formulierte These stützt (»Hätten sie lieber Sex im Fahrstuhl oder auf einer viel befahrenen Kreuzung?«).
Im Fall der Überschrift »39 Prozent der Deutschen würden für eine Million Euro ein Jahr lang auf Sex verzichten« ist die zugrundeliegende Umfrage der Meinungsforschungsplattform YouGov sogar einfach nur ein Werbetrick, um ein Buch zu vermarkten, in dem es um das Verhältnis der Deutschen zum Geld geht. In diesem Buch steht natürlich alles mögliche drin, aber werberelevant und schlagzeilentauglich ist vor allem die Verbindung von Geld und Sex.
Dabei ist es überhaupt kein Wunder, dass 39 Prozent der Deutschen für ein Jahr auf Sex verzichten würden, wenn man ihnen dafür ein Million Euro schenken würde. Viele tun das ja ohnehin, wenn auch vielleicht unfreiwillig. Und selbst Menschen mit einem sehr aktiven Sexleben erinnern sich ganz gut an Zeiten, in denen sie über Monate keinen Sex hatten. Kann man aushalten. Viele werden sich gedacht haben: Einfach mein Leben so weiterleben wie bisher und dafür reich werden? Ich bin dabei! Hier eine Auswahl an Dingen, die eine erstaunliche Anzahl an Deutschen, wie wir glauben, ebenfalls ein Jahr lang auf sich nehmen würde, wenn es dafür eine Million Euro gäbe:
- Auf den morgendlichen Toilettengang verzichten und dafür in die Dusche pinkeln.
- Im Restaurant keine Vorspeise bestellen.
- Die Treppe in den zweiten Stock nehmen und nicht den Aufzug.
- Die Wohnung einfach mal selber putzen.
- Die Nachbarn freundlich grüßen, obwohl man sie nicht mag.
- Die Urlaubsreise in den nahen Osten gegen einen Fincaurlaub auf Mallorca eintauschen.
- Das Auto nicht jede Woche waschen lassen.
- Kürzer als drei Minuten Zähneputzen.
- Den Bachelor gucken, obwohl auf Arte parallel eine Filmreihe über die schönsten Weinanbaugebiete Süddeutschlands läuft.
- Fernsehen, obwohl man ein gutes Buch neben dem Bett liegen hat.
- Samstags nicht ganz früh auf den Öko-Markt gehen, um die besten Tomaten abzugreifen, sondern ausschlafen und sich zum Frühstück die Nudeln von gestern warmmachen.
- Morgens mit dem Bus und nicht mit dem Porsche zur Arbeit fahren.
- Beim Pornoschauen vorspulen und sich dadurch die interessanten Anbahnungsdialoge entgehen lassen.
- Game of Thrones gucken, obwohl man Enthauptungen grundsätz-lich eher kritisch gegenüber steht.
- Ungewaschenes Obst essen.
- Keinen Marathon laufen, auch keinen halben.
- Auf Helikopterrundflüge verzichten.
- Den Zeugen Jehovas nicht die Tür öffnen, obwohl man sonst ganz gern über Gott und die Welt plaudert.
- Auf den Verzehr von Insekten verzichten, obwohl das ja angeblich der neue große Ernährungstrend ist.
- Keinen Burka-Selbstversuch machen.
Es könnte sich übrigens durchaus lohnen, einer relevanten Anzahl an Menschen eine Million Euro dafür zu zahlen, dass sie bei Sexumfragen ausschließlich die Wahrheit sagen. Die so gewonnen Resultate würden die Bevölkerung für immer mit ihrem Sexualleben versöhnen und die Ausgaben durch die eingesparten Therapiekosten in kürzester Zeit amortisiert.
Illustration: Sammy Slabbinck