Name: Davide Bertuccio
Geburtstag: Jahrgang 1991
Wohnort: Mailand, Italien
Ausbildung: Fotografie an der European Istitute of Design in Mailand
Website: https://davidebertuccio.com
SZ-Magazin: Herr Bertuccio, ab Januar werden wieder Kreuzfahrten im Mittelmeer angeboten. Sie haben im Oktober eine Woche auf einem Schiff verbracht und dort fotografiert. Warum haben Sie das gemacht?
Davide Bertuccio: Die MSC Grandiosa ist das erste Schiff gewesen, das nach der ersten Welle wieder in See gestochen ist und Reisen im Mittelmeer durchgeführt hat. Besonders Norditalien hat COVID im Frühjahr stark getroffen, meine Aufträge als Fotograf wurden abgesagt und ich saß in meiner Wohnung in Mailand fest. Nicht nur mein Leben, sondern unser aller Alltag hat sich verändert und natürlich auch wie wir reisen. Ich wollte auf dem Kreuzfahrtschiff diese neue Normalität fotografieren.
Verändert hat sich vieles, selbst der Einkauf im Supermarkt. Warum haben Sie für Ihr Projekt eine Kreuzfahrt ausgewählt?
Ich bin in Sizilien, im Süden von Italien aufgewachsen und die großen Schiffe kenne ich schon seit meiner Kindheit. Vor dem Ausbruch der Pandemie gab es einen enormen Zuwachs im internationalen Kreuzfahrt-Tourismus. Die MSC Grandiosa stand zwischen dem 12. März bis Mitte August wegen Corona still. Als ich hörte, dass sie wieder fährt und Menschen ihren Urlaub auf dem Schiff verbringen, wollte ich auch an Bord. Davor war ich noch nie auf einem Kreuzfahrtschiff und würde selbst nicht auf diese Art verreisen. Ich hatte große Vorurteile gegenüber den Menschen, die Urlaub auf Schiffen wie diesem machen und erwartet, dass ich vor allem alte Menschen treffen würde, die ein bisschen komisch sind und sich noch komischer verhalten. Vor allem, wenn sie es in Zeiten von Corona machen. Aber an Bord hat sich herausgestellt, dass ich mich geirrt habe.
Inwiefern?
Es waren auch junge Leute da, Familien mit Kindern und Babys und natürlich auch ältere, aber sie waren nicht komisch, sondern normal. Wegen der Virus-Situation habe ich beschlossen keine Porträts, sondern Fotos mit etwas Abstand zu machen und so die Atmosphäre zu dokumentieren. Und auch die war, naja, normal. Die Gäste liefen auf dem Hauptdeck spazieren, spielten Mini-Golf, schwammen im Swimmingpool, gingen ins Casino und tanzten jeden Abend zu den immer gleichen Pop-Songs.
»Von dem Mann in Schutzanzug, der zweimal am Tag die Sonnenliegen auf dem Deck desinfiziert hat, haben die Passagiere jedes Mal Fotos mit ihren Smartphones gemacht«
War Corona also vergessen?
Nein, ich denke nicht, dass einer der Menschen das Virus vergessen hat. Als ich auf das Schiff gegangen bin, war es erst seltsam Menschen zu sehen, die Urlaub machen, Masken tragen und sich aus dem Weg gehen. Aber nach ein paar Stunden habe ich mich daran gewöhnt, denn das ist eben unsere neue Normalität. Eine, die wir noch nicht so gut kennen. Denn von dem Mann in Schutzanzug, der zweimal am Tag die Sonnenliegen auf dem Deck desinfiziert hat, haben die Passagiere jedes Mal Fotos mit ihren Smartphones gemacht. Ich glaube, die Passagiere haben sich trotzdem erholt – zumindest sahen sie nicht gestresst aus. Ich habe mich selbst sicher gefühlt, weil sich alle an die Hygienevorschriften gehalten haben und einen negativen Corona-Test vorweisen mussten, obwohl ich am Anfang gedacht habe, dass ich mich während dem Projekt wohl infizieren würde. Ich dachte, wenn das Virus an Bord wäre, gäbe es kein Entkommen.
Vor einem Jahr auf dem Kreuzfahrtschiff »Diamond Princess« im japanischen Gewässer kam es zu einem Corona-Ausbruch an Bord. Nachdem das Virus im Februar bemerkt wurde, durften 3.711 Personen ihre Kabinen nicht mehr verlassen, angesteckt haben sich trotzdem 705, gestorben sind 6. Sind Kreuzfahrten während der Pandemie moralisch vertretbar?
Es gibt die einen, die im Krankenhaus arbeiten, während die anderen ihren Urlaub genießen wollen. Ob das richtig ist, ist eine extrem schwierige Frage, denn ich will es nicht verurteilen. Die Menschen haben eben unterschiedliche Bedürfnisse, ihnen das Reisen zu verbieten, finde ich falsch, denn die Freiheit selbst zu entscheiden, finde ich sehr wichtig. Aber richtig verstehen, kann ich es nicht. Ich selbst habe mich auch zuhause gelangweilt, isoliert, keine Freunde getroffen, bin nicht mit meinem Auto verreist, wie ich es sonst gerne mache und habe gehofft, dass das Virus so eingedämmt wird.
Kreuzfahrten sind auch eine große Quelle der Luftverschmutzung.
Eine Studie hat gezeigt, dass besonders Hafenstädte im Mittelmeer wie Barcelona, Palma und Venedig von den Ausstößen der riesigen Schiffe betroffen sind. Während dem Lockdown ist der CO2-Ausstoß zurück gegangen, aber als die Schiffe wieder fahren durften, hat die Verschmutzung wieder zugenommen. Der Plastikverbrauch ist mit der Pandemie angestiegen, denn viele Produkte, die vor Corona schützen sollen, werden aus Plastik hergestellt. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass COVID das Thema Umwelt aus der Öffentlichkeit verdrängt hat. Dabei können erneuerbare Energien und eine nachhaltige Wirtschaft unsere Zukunft auf diesem Planeten sichern.
Hinweis: In einer früheren Version des Interviews war davon die Rede, dass die Passagiere während der Reise nicht von Bord durften, dies war nicht der Fall. Wir bitten den Fehler, der auf einen Übersetzungsfehler zurückging, zu entschuldigen.