Name: Rie Yamada
Geboren: 1984 in Nagoya, Japan
Wohnort: Berlin
Ausbildung: Masterstudium in Visual Communiaction an der Kunsthochschule Weißensee-Berlin
Website: www.rieyamada.com
SZ-Magazin: Rie Yamada, für Ihr Projekt »Familie werden« haben Sie alte Familien-Fotoalben auf Flohmärkten und im Netz gekauft und dann nachgestellt. Wie kamen Sie auf die Idee?
Rie Yamada: Nach dem tragischen Tsunami in Japan 2011 habe ich gelesen, dass sich Überlebende von all den Sachen, die sie in der Katastrophe verloren haben, nichts mehr zurückgewünscht haben als ihre Familienfotos. Das fand ich sehr interessant. Das hat mich dazu gebracht, über Familien allgemein nachzudenken.
Und? Was ist Familie für Sie?
Familien sind eine Ansammlung von Menschen, die den kulturellen und historischen Hintergrund ihrer Zeit verkörpern. Familienfotos sind damit eine Reflexion der Gesellschaft aus einer bestimmten Zeit. Und obwohl Familienfotos die vielleicht intimste und wertvollste Form der Fotografie sind, liegen die Fotos oft vergessen in Kisten, oder es werden gleich die ganzen Alben entsorgt, wenn eine Familie zerbricht und ausstirbt. So konnte ich diese privaten Alben ja überhaupt erst kaufen.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Alben gesucht?
Ich habe fünf deutsche Familienalben auf Flohmärkten in Berlin gekauft und fünf japanische bei Online-Auktionen. Es gab eine einzige Bedingung für mich: dass sie mehr als 100 Bilder der Familie beinhalten, damit ich den Familienhintergrund, also die Strukturen innerhalb der Familie, den Zeitpunkt und den Ort nachvollziehen kann.
Wofür waren diese Details so wichtig?
Ich wollte daraus drei Projekte machen: über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft von Familien und Familienfotos. »Familie werden« ist davon der erste Teil, der Fokus liegt auf der Vergangenheit. Es ging mir darum zu sehen, wie Familien und Familienfotos früher waren. Und ich dachte mir: Der beste Weg, um sie zu verstehen, ist selbst Teil der Familie zu werden.
Haben Sie deshalb alle Rollen selbst übernommen?
Ich habe viel Zeit damit verbracht, die Familien in den Fotos kennenzulernen. Und weil mir die Familien dadurch so nahe waren, habe ich mich auch dafür verantwortlich gefühlt, sie selbst zu verkörpern. Außerdem wollte ich zeigen, dass es heutzutage keine »korrekte« Form mehr von Familie gibt. Wir leben in einer Zeit, in der wir unsere eigene Familie wählen können. Gerade arbeite ich am zweiten Teil des Projekts, bei dem es um gegenwärtige Familienformen geht. Dafür nehme ich an Veranstaltungen zur Partnersuche teil und teste Dienstleistungen in Japan, bei denen man sich eine Familie ausleihen kann. Der dritte Teil wird dann um mich und meine zukünftige Familie gehen.
Wie hat sich das angefühlt in fremde Rollen in teils skurrilen Settings zu schlüpfen?
Als ich in den gleichen Kleidern, mit dem gleichen Make-up und der gleichen Frisur wie die dargestellten Personen vor der Kamera stand, konnte ich auf sonderbare Weise die Atmosphäre und die Gegebenheiten der Originalfotos spüren. Durch den gesamten Arbeitsprozess hindurch konnte ich eine andere Kultur und mir fremde Umgebungen und Lebensumstände am eigenen Leib erfahren und dadurch verstehen.