Ich habe einen Freund, für den sind zwei Sachen sicher. Erstens: Alles hängt mit allem zusammen. Zweitens: Alles hängt im Endeffekt auch irgendwie mit ihm zusammen. Ich lache ihn regelmäßig für seine Überzeugung aus, was dazu führt, dass er sie noch heftiger vertritt und am Ende ruft: »Zuuuuufall, ja? Das ist jetzt alles wieder Zuuuufall, Moritz?« Ich denke dann immer: »Ja, logo.« Und sage es auch.
Ich habe einen anderen Freund, der schuldet mir einen gewissen Betrag. Seit längerem. Nun ja, seit einer Weile, ein paar Jahre schon. An den meisten Tagen könnte er mir das Geld ganz einfach zurückgeben, kein Problem. Er müsste nur kurz zum Automaten laufen, Karte rein, Geheimzahl, rattatatat, Karte raus, easy. An den anderen – wenigen – Tagen im Jahr kann er das nicht, weil dann ist gerade nicht genug Geld auf dem Konto. Diese Tage sind, wie gesagt, nicht sehr viele, aber leider immer genau die, an denen wir uns sehen. Denn zwischen unseren Wohnorten liegen 584 Kilometer.
Dieser Freund hat sich das Geld damals geliehen, um es selber weiter zu verleihen. Seiner Freundin, die für ein Praktikum in einer fremden Stadt eine Wohnung brauchte. Die Freundin gibt es längst nicht mehr und weil mein Geld leider für eine Monatsmiete und nicht für die Kaution benötigt wurde, gibt es das jetzt auch nicht mehr.
Diese Freundin wiederum, die hatte einmal ein Fahrrad. Es war nicht besonders neu und nicht besonders schön, es hat ziemlich geklappert und so richtig verkehrssicher war es auch nicht. Es war nur mit einem Speichenschloss gesichert und das Licht war auch kaputt, letzteres war aber nicht so schlimm. Denn das Fahrrad wurde von mir hauptsächlich dazu benutzt, um nach dem Club nach Hause zu fahren. Und das tut man in der Stadt, in der mein Freund wohnt, erst, wenn es schon wieder hell ist.
Dieses Fahrrad gibt es leider auch nicht mehr. Es wurde mir geklaut, obwohl ich das Speichenschloss ganz sicher zugedrückt hatte. Ich musste dann ein Taxi nach Hause nehmen und beichten. »Ist nicht so schlimm«, sagte die Freundin von meinem Freund, »wir sind hier in Berlin. Da werden oft Fahrräder geklaut«. Da hatte sie ziemlich recht, obwohl sie noch nicht wissen konnte, dass das Umfrage-Institut Forsa im Jahre 2015 herausfinden sollte, dass 54 Prozent aller Fahrradbesitzer Berlins schon mindestens einmal das Rad geklaut wurde. Und die Hauptstadt somit die Nummer eins der Raddiebstähle ist (sag' noch mal einer, dass die da oben nichts gebacken kriegen).
Meinem Freund, der mir das Geld schuldet, bin ich auch nicht so richtig böse, vielleicht, weil ich noch ein bisschen schlechtes Gewissen wegen des Fahrrads habe. »Ist nicht so schlimm«, sage ich, wenn wir alle Jahre wieder darüber sprechen, »ich brauche das Geld gerade nicht. Gib es mir einfach, wenn es für dich passt.« Was ich nicht wissen konnte, ist, dass die Auskunftei Schufa im Jahre 2015 herausfinden sollte, dass 13 Prozent aller Berliner ihre Schulden nicht bedienen können. Und die Hauptstadt somit die Nummer eins im Schulden-nicht-zurückzahlen ist (naja, darauf hätte man schon kommen können).
Wenn ich also meinen ersten Freund wieder treffe, den vom Anfang, der mit den Verschwörungstheorien, werde ich wie gewohnt den Kopf schütteln, wenn er wieder sämtliche Geschehnisse der Woche zu sich in Bezug setzt. Und während ich seiner egozentrischen Weltsicht laut widerspreche, werde ich mir leise denken: »Freund-Freundin-Fahrradklau-Schulden-Berlin – alles hängt mit allem und MIR zusammen! Oder ist das etwa Zuuuuuufall, hä?«
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