Wie aus Mehl und Wasser ein knuspriges Brot wird

Ein bisschen Chemie, eine sinnliche Erfahrung und am Ende auch ein kleines Wunder: So gelangen Sie Schritt für Schritt zum perfekten Sauerteigbrot – aus Weizen, Roggen und nussigen Saaten.

Ein frisches Brot mit Butter ist immer ein Genuss, aber wenn das Brot auch noch selbstgebacken ist, gleicht es einer himmlischen Erfahrung.

Text, Fotos & Video: Hans Gerlach

Unter den ersten Beiträgen zu dieser Kolumne war das Rezept für ein Bauernkrustenbrot mit Sauerteig – und mit einer kleinen Menge Hefe, damit nichts schiefgehen kann, wenn der Sauerteig doch mal nicht ganz so stark aufgeht, wie man sich das wünscht. Für die ersten Versuche mit Sauerteig ist das nach wie vor ein sehr gutes Rezept. Damals hatte ich das Gefühl, über ein Randgruppenthema zu schreiben, ich kannte sonst niemanden, dem es wichtig war, regelmäßig Brot zu backen. Das hat sich ja nun in den vergangenen drei Jahren gründlich geändert. Und obwohl ich schon so lange Sauerteigbrote backe, habe ich in dieser Zeit jede Menge dazu gelernt – es gibt inzwischen nicht nur meine Bäckerfreunde, die ich nach Tipps und Tricks fragen kann, sondern einfach viel mehr Menschen, die ganz genau über kleinste Details des Brotbackens philosophieren und ihre Texte wissenschaftlich genau illustrieren.

Bevor Sie solche Tipps ausprobieren, schadet es nicht, zu überlegen, wie gut diese Techniken zum eigenen Brot und zum eigenen Workflow passen. Zum Beispiel formen viele Amerikanerinnen ihre Brotlaibe mit einer Technik namens »Stitching«, also nähen. Nach meiner Erfahrung eignet sich die Technik nicht perfekt für unsere regionalen Mehle, denn fürs Stitching braucht es extrem feuchte Teige, die aus den gleichzeitig sehr robusten, glutenhaltigen und doch dehnbaren amerikanischen Mehlsorten bestehen. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur zu langsam, denn Sie brauchen auch, ähnlich wie eine Surferin, die richtigen Moves – sehr schnell und genau im richtigen Moment. Nur so lassen sich diese supernassen Teige zu Laiben formen, ohne dass alles irgendwo festklebt. Für meine Teige nehme ich auch reichlich Wasser, aber etwas weniger als amerikanische Sourdough Freaks. Außerdem verwende ich gute Mehle von guten Müllern (zum Beispiel von der letzten Mühle mitten in München) – aber diese Mehle sind in der Regel aus regionalem Getreide, wenn möglich bio und verhalten sich anders als amerikanische Mehlsorten. Meine Teige wollen ordentlich geknetet und gefaltet werden. Aber wenn es ans Formen geht, dann brauchen sie eine zarte Hand. Schließlich will ich die Luftblasen, die das Brot später lockern und die sich über Stunden im Teig entwickelt haben, nicht beim Formen der Laibe wieder aus dem Teig herausdrücken.

Mein Rezept fürs Sauerteigbrot mit Weizen und Roggen funktioniert sehr gut, die Uhrzeiten sind nur Beispiele, es zählt, wie sich der Teig verhält. Und wenn Sie lieber zu einer ganz anderen Zeit backen wollen, dann können Sie den Zeitplan auch anpassen. Wenn ich zum Beispiel viel im Homeoffice arbeiten würde, könnte ich vermutlich einen Tag früher anfangen zu backen, also am Freitag alle paar Stunden den Teig falten und am Samstag früh nur noch das Brot fürs Wochenende in den Ofen schieben.

Brot zu backen, ist ein analoges Vergnügen. Es hilft dabei, mit allen Sinnen ein geradezu körperliches Verständnis dafür zu entwickeln, wie unser wichtigstes Nahrungsmittel entsteht. Das scheint mir eine gute und wichtige Erfahrung zu sein, auch wenn Sie nicht vorhaben, regelmäßig selber zu backen. Abgesehen davon kommt man sehr schnell an einen Punkt, wo nur noch die wenigen echten Handwerksbäcker besser backen als man selbst – wer keinen solchen Bäcker um die Ecke hat, bekommt das bessere Brot aus dem eigenen Ofen. Viel Spaß beim Ausprobieren!

Hier noch ein paar Tipps:
Zum Brotbacken muss der Ofen vorgeheizt werden. Damit sich das lohnt, also um Energie zu sparen, backe ich an einem Tag mehrere Brote direkt nacheinander.
Den ersten Sauerteigstarter kann man sich von einem guten Bäcker geben lassen oder selber ansetzen. Wie das geht, steht zum Beispiel ganz genau in unserer Anleitung für Sauerteigbrot. Für helle Brote einen Roggen-Starter am besten ein paar Tage lang mit einer Mischung aus 80 Prozent Weizenmehl und 20 Prozent Roggenmehl füttern und so schon mal an Weizennahrung gewöhnen. Oder gleich einen hellen Starter verwenden.

Sauerteigbrot mit Weizen, Roggen und nussigen Saaten

Zubereitungszeit
2
Gesamtzeit
48
Schwierigkeit

Zutaten für 2 Brote von ca. 1 kg:

Für 4 Personen
  • 1053 g Brotmehl (z. B. Bio-Weizenmehl 550 von der nächsten guten Mühle) und etwas mehr für den Starter Mehl
  • 235 g Roggenvollkornmehl und etwas mehr zum Arbeiten Mehl
  • 960 ml Wasser
  • 30 g Salz
  • 1 kleine Handvoll Mohn, Chiasamen, Sonnenblumenkerne zum Wälzen der Teiglinge Mohn, Chiasamen, Sonnenblumenkerne

1. Aktiven Sauerteigstarter am Abend vor dem Backwochenende füttern
z. B.: Freitagabend ca. 20 Uhr
1/5/4,5 ungefähr also 1 Teil Starter mit 5 Teilen Wasser und 4,5 Teilen Mehl mischen.
Das sind hier 11 g Starter, 48 g Wasser, 54 g Mehlmischung (80% Weizenmehl und 20 % Roggenmehl) verrühren, Deckel lose auflegen, ca. 12 Stunden bei ca. 24 Grad reifen lassen (oder schon bei 27 Grad aber dann etwas kürzer).

2. Vorteig ansetzen
Samstag 8 Uhr
1/1/1 (minimal weniger Wasser als Mehl)
100 g vom neuen Starter mit 100 ml Wasser (im Winter lauwarm), 54 g Weizenmehl und 54 g Roggenvollkornmehl gründlich verrühren, zugedeckt etwa 4 Stunden reifen lassen (27 Grad) der Vorteig soll sich mindestens verdoppeln – wenn alles gut läuft und der Starter topfit ist, dann verdreifacht sich der Vorteig auch mal.

3. Autolyse
Samstag 11 Uhr
750 ml Wasser mit 945 g Weizenmehl und 180 g Roggenvollkornmehl verrühren – es soll kein trockenes Mehl mehr sichtbar sein, aber der Teig muss nicht glatt sein, gründlich verrühren reicht. Eine Stunde stehen lassen (am besten auch bei 27 Grad).

4. Hauptteig kneten
Samstag 12 Uhr
5 g vom Vorteig abnehmen, mit 12 g Wasser und 15 g Mehlmischung verrühren und als neuen Sauerteigstarter weiter pflegen.
Gereiften Vorteig und Autolyseteig in einer Schüssel gründlich kneten. Nach ein paar Minuten 30 g Salz und 60 ml Wasser zugeben, fertig kneten – mit der Hand dauert das insgesamt etwa 10 Minuten. Am Ende sollte der Teig mehr in sich, als an den Fingern kleben. In einer Teigmaschine geht es auch: ca. 10 Min. sehr langsam kneten dann 30 Sekunden schneller (aber nicht zu brutal!). Dann den Teig in leicht geölte Plastikbox mit Deckel legen, ein oder zwei Mal mit nassen Händen hochheben und dabei zusammenfalten. Bei 27 Grad ruhen lassen. Jetzt ist es wahrscheinlich etwa 12.30 Uhr.

5. Teigruhe – Stockgare
Samstag 12.30 bis 16.30 Uhr
Nach 45 Minuten, 105 Minuten und 180 Minuten den Teig jeweils zwei oder drei Mal mit nassen Händen hochheben, dabei zusammenfalten und wieder in die Kiste legen.

6. Vorformen – Preshape
Samstag 17.15 bis 17.20 Uhr
Nach weiteren 105 Minuten die Laibe vorformen – der Hauptteig geht jetzt insgesamt etwa 4 Stunden. Dafür die Arbeitsfläche mit etwas Roggenmehl bestäuben. Zwei Schüsseln mit einem Küchentuch auslegen, mit Roggenmehl einstäuben – oder einen Gärkorb verwenden und bestäuben (die aus Holzschliff sind am besten).
Den Teig vorsichtig auf die bemehlte Stelle der Arbeitsfläche gleiten lassen, Hände mit Mehl bestäuben. Den Teig mit einem bemehlten Teigschaber zweiteilen. Eine Hälfte leicht ziehen und zusammenfalten, mit dem Teigschaber ein paarmal zügig von allen Seiten unter den vorgeformten Laib fahren. Man fühlt sehr schnell, wie man den Teigschaber halten muss, damit sich der Teig weiter strafft. Den zweiten Teig genauso formen, dann beide ungefähr eine halbe Stunde liegen lassen.

7. Formen
Samstag 17.50 bis 18 Uhr
Ein Stück Arbeitsfläche ganz leicht mehlieren, ein Teigstück noch leichter mit Mehl bestäuben, dann mit einem Teigschaber und der bemehlten Hand beherzt hochheben und umdrehen auf das bemehlte Stück Arbeitsfläche. Bei all diesen Formungsaktivitäten hilft ein »benchknife« – Teigschaber ist nicht ganz richtig und Teigabstecher klingt leider nicht schön – das Benchknife kann auch ein großer, breiter Maurerspachtel aus dem Baumarkt sein.
Die Hände immer wieder mit Mehl bestäuben. Den Teig nach rechts und links vorsichtig zu einem Rechteck ziehen und dehnen. Erst von links, dann von rechts zur Mitte hin einschlagen. Mit den Daumen von vorne unten hochheben, ziehen und bestimmt aber vorsichtig nach hinten hin aufrollen.

Kopfüber auf einen Teller mit Saaten legen, ich nehme zur Zeit eine Mischung aus Mohn, Chiasamen und Sonnenblumenkernen. Den Teigling von unten hochheben, in den Gärkorb legen. Nur falls der Teigling sich noch nicht richtig straff anfühlt eventuell beim Ablegen noch einmal vorsichtig zusammenfalten, die Nahtstelle dieser letzten Falte mit bemehlten Fingern nochmal etwas nachzwicken. (An dem Tag, an dem wir für das Stop-Motion-Video fotografiert haben, hatte es 35 Grad, die Mikroorganismen im Teig haben fast verrückt gespielt und das Teighandling war nicht einfach, hier war es sicher sinnvoll die Teiglinge einmal zusätzlich zu falten – trotz der Schwierigkeiten ist das Brot fürs Foto dann supersaftig, aromatisch, locker und knusprig geworden).

8. Letzte Ruhe vor der Nachtruhe
Samstag 18.30 Uhr
Wenn der Teig sehr stark aufgegangen ist gleich in den Kühlschrank stellen, genauso wenn der Kühlschrank alt ist und nicht besonders kalt wird. Wenn der Teig noch sehr aktiv Widerstand leistet wenn Sie mit einem Finger vorsichtig eine Mulde in den Teig drücken – dann noch 30 bis 60 Minuten draußen stehen lassen und dann erst in den Kühlschrank stellen. Meiner Erfahrung nach muss der Teig nicht zugedeckt werden, aber in sehr trockener Umgebung mag das anders sein, Duschhauben sind gut geeignet um Teiglinge im Kühlschrank vor dem Austrocknen zu schützen.

9. Ofen anschalten
Sonntag 8 Uhr (das kann auch ein paar Stunden später sein, spielt keine Rolle)
Ofen auf 270 Grad Umluft vorheizen, mit einem großen Gusseisentopf im Ofen – beliebt ist zum Beispiel der Kombitopf von Lodge weil der Deckel auch als flaches Unterteil fungieren kann (alternativ einen speziellen Brotofen mit Dampffunktion vorheizen).

10. Backen
Sonntag 9 Uhr
Gusseisenunterteil aus dem Ofen nehmen – Vorsicht sehr heiß! Backhandschuhe verwenden.
Den Teig direkt in die Form stürzen. Mit einer Rasierklinge einmal längs einschneiden, dabei die Klinge ziemlich flach halten für einen 45-Grad-Schnitt. Topf mit dem Teig in den Ofen stellen, 40 ml Wasser angießen, sofort zudecken und den Ofen schließen. Temperatur auf 240 Grad Ober/Unterhitze zurückschalten, 20 Minuten backen. Den Deckel abnehmen und weitere 15-25 Minuten dunkelgoldbraun fertig backen. Auf einem Gitter abkühlen lassen. Den Topf noch einmal eine Viertelstunde durchheizen, dann das zweite Brot backen.

Sonntag 10 Uhr Frühstück!

Hellen Starter pflegen
Schnellstart: Eine Minimenge Starter – 5 g sind genug – von Freunden oder vom Bäcker geben lassen (oder mir eine Direct Message auf Instagram schreiben und vorbeikommen), egal ob Roggen- oder Weizen- oder Dinkelsauerteig, dann zu Hause mit der gewünschten Mehlsorte weiter füttern.
Mehlmischung für den Starter vorbereiten: 400 g Weizenmehl (550 oder was gerade da ist) und 100 g Roggenmehl (Vollkorn, 1150 oder was gerade da ist) mischen. Ein reiner Roggensauerteig ist stabiler und weniger kapriziös, aber meine Sauerteige stehen alle regelmäßig einige Wochen im Kühlschrank und werden dann sehr schnell wieder aktiv. Roggen braucht etwas mehr Wasser, und nur eine tägliche Fütterung, sonst gleich behandeln wie hellen Sauerteig.

Aktiven Starter zweimal täglich füttern
ca. 8 und 21 Uhr
also 3 g Starter, 12 g Wasser und 15 g Mehlmischung verrühren.
Mit einem Deckel locker zudecken, bei ca. 24 Grad ruhen lassen – wenn ich in meinem Ofen nur das Ofenlicht anschalte dann hat er ziemlich stabil 23 Grad – man muss ein bisschen suchen aber es gibt sicher passende Ecken für den Teig (Auf dem Kühlschrank? Neben der Heizung? In einer Styrokiste mit Wärmeflasche oder Terrarienheizung? Bei Eigenbau-Heizungen bitte den Brandschutz beachten)

Starter bis zu 4 Wochen kühlen (während Reisen, Backpausen)
Reifen Starter mit 15 g Mehl verrühren bis sich die Masse eher krümelig anfühlt, dann in einem Schraubdeckelglas verschließen und ab in den Kühlschrank.

Starter reaktivieren
Mindestens 2 Tage vor dem Backen aus dem Kühlschrank nehmen mit etwas lauwarmem Wasser cremig rühren, 1 EL Mehl zugeben, einen ganzen Tag ruhen lassen und dann wieder wie beschrieben 2 Mal täglich füttern.