Der schönste Moment an meinen Geburtstagen dauert nicht lange. Es sind fünf Minuten, höchstens, aber ich liebe sie. Den Augenblick, wenn ich an meinen Geburtstagen aufwache, aber nicht gleich aufstehe. Sondern mit Vorfreude im Bett liege und den Tag durchgehe. Wer wohl alles an mich denken wird, wer vorbeischauen wird, wer mich umarmen wird. Geburtstage fühlen sich so an, wie sich sehr narzisstisch veranlagte Menschen vielleicht immer fühlen: Als würde sich an diesem einen Tag die ganze Welt um dich drehen wollen.
Ich werde in dieser Woche 79 Jahre alt. Das ist eine ziemlich hohe Zahl, viele Grundschulkinder können gar nicht so weit zählen. Und für einen Kuchen, auf den 79 Kerzen passen, bräuchte man einen ziemlich großen Backofen – und viel Puste, um sie auszublasen.
Manchmal denke ich, dass es absurd ist, in meinem Alter Geburtstag zu feiern. Denn alle Traditionen sind auf – die Formulierung verrät schon viel – Geburtstagskinder ausgerichtet. Es gibt viel Aufmerksamkeit, hübsch verpackte Geschenke und Süßigkeiten. Das macht den Tag großartig für Kinder, die sich von ihrem Taschengeld nicht so viele Videospiele und Schokoladentafeln kaufen können. Dafür nehmen es die Kinder auch in Kauf, die bucklige Verwandtschaft zu Kaffee und Kuchen einzuladen. Aber was soll ich da sagen? Ich hätte genügend Geld für Videospiele und Schokolade. Und ich habe in ein paar Jahren vielleicht selbst einen Buckel.
Als ich ein Kind war, habe ich den Tag aus den gleichen Gründen geliebt wie Kinder heute. Ich bin 1939 geboren, meine ersten Geburtstage feierten wir also während des Krieges. Alles war knapp. Aber an diesen Tagen gab es Kuchen. Es war meistens ein Kuchen, der heute nur noch sehr selten gebacken wird: Königskuchen, ein heller Napfkuchen mit vielen Rosinen und anderen Trockenfrüchten. Weil wir auf dem Land wohnten, lebten während des Krieges einige Kinder aus unserer Verwandtschaft bei uns. Ihre Eltern hatten sie aus den Städten zu uns geschickt, damit sie vor den Bomben in Sicherheit waren. Ich musste also nicht groß Kinder einladen, es waren an sich schon so viele da, dass es sich nach einer Kindergeburtstagsfeier anfühlte.
Jedes Jahr bekam ich ein Geschenk. Einmal war es ein Huhn, das Eier für mich legen sollte. Die Leute dachten damals einfach sehr praktisch, sie mussten das ja auch. Über die Jahre bekam ich aber auch etwas kindgerechtere Geschenke. Meine Mutter überreichte mir Puppen oder Stofftiere. Aber am meisten freute ich mich, als sie mir das Buch »Pu der Bär« schenkte. Die Seiten waren gräulich und hatten eine feste Struktur. Das Papier war in diesen Jahren knapp, also wurde alles auf eine Art schlechtes Recyclingpapier gedruckt. Aber ich liebte die Geschichte von Pu abgöttisch. Jahre später verschenkte meine Mutter mein Buch einfach an ein anderes Kind, ohne mich zu fragen. Mein Ehemann suchte jahrelang nach einer alten Ausgabe für mich. Sie steht jetzt immer noch in meinem Bücherregal.
Wenn ich darin blättere, wird mir klar, wie lange das alles her ist. Wie lange ich schon lebe. Darf ich mich mit 79 Jahren also immer noch wie ein Geburtstagskind fühlen? Darf ich immer noch das Gefühl herbeisehnen, morgens im Bett zu liegen und mich darüber zu freuen, dass die ganze Welt sich um mich drehen wird?
Ich habe beschlossen: Ja, ich darf. Ich will meine Geburtstage feiern, weil ich damit auch mein Leben feiere, all die Momente, in denen ich lachte, liebte, weinte, umarmte. Und weil ich alt bin, und weil man alten Leuten jedes komische soziale Verhalten verzeiht, muss ich mir auch keinen großen Kopf mehr um meine Feier machen. Ich habe schon so viele rauschende Geburtstagsfeiern ausrichten müssen für meine Kinder, so viele Kerzen in Kuchen gesteckt, dass ich es selbst nun unkompliziert will. Ich werde einen großen Topf Suppe kochen, einen Kuchen auf den Tisch stellen und dann schauen, wer alles vorbeikommt. Um mit mir auf dieses wunderschöne Leben anzustoßen.