Es gibt viele Gründe, warum man Bryan Ferry gut finden kann. Mir hat stets besonders imponiert, wie er die musikalische Vergangenheit und Gegenwart ausbalanciert hat. Denn obwohl er von Beginn seiner Karriere an immer viele alte Songs gesungen hat – schon der Titelsong seines ersten Solo-Albums war ein Jazzstandard aus dem Jahr 1936 –, besteht bis heute kein Zweifel an seiner Modernität. Mit seiner zeitlosen Gentleman-Aura und eindringlichen Sound-Ästhetik wirkt er heute sogar aktueller als viele bärtige Indie-Typen, die sich in den Rockposen der Siebziger verheddern. Morgen erscheint sein neues Album Olympia (EMI), ich hatte vor einigen Wochen Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Wie immer präsentierte er sich eloquent, höflich und gut gelaunt.
Bryan Ferry, Ihr neues Album heißt Olympia. Dieses Wort hat viele Bedeutungen, vom Frauennamen bis zum Sportfestival. Was bedeutet es für Sie?
Mein Studio befindet sich in einem Viertel in London namens Olympia. Da steht auch ein »Olympia«-Gebäude, an dem der Name mit großen Buchstaben angeschrieben ist. Auf dem Weg zur Arbeit komme ich dort jeden Tag vorbei. Wir haben lange an dem Album gearbeitet, irgendwann erkannte ich, dass »Olympia« wohl der passende Titel ist.
Das klingt aber prosaisch.
Es gibt auch noch ein Gemälde von Edouard Manet, das »Olympia« heißt. Das hat einige der LP-Cover von Roxy Music inspiriert, die ich gestaltet habe. Es ist eine Art frühes Pin-Up-Bild. Auf dem Cover des neuen Albums ist Kate Moss zu sehen, die auch eine berüchtigte Femme Fatale ist – ähnlich wie die Frau auf dem Manet-Gemälde.
Man sagt, dass Sie mit allen Frauen etwas hatten, die in den Siebzigern auf den Roxy-Music-Platten zu sehen waren.
Nicht mit allen!
Und mit Kate Moss?
Nein, nein. Sie ist eine Bekannte von mir. Früher haben wir unbekannte Models für die Cover benutzt. Diesmal wollte ich jemand, der wirklich berühmt ist und die Rolle mit einer gewissen Autorität ausfüllen kann. Kate war unglaublich. Die Deluxe-Version der CD enthält ein 40-Seiten-Buch mit vielen zusätzlichen Fotos von ihr. Ein sehr schönes Büchlein, wie ich finde.
Es ist heute fast unumgänglich, solche zusätzlichen Kaufanreize zu liefern, wenn man noch ein paar Platten loswerden will, oder?
Es gibt ja leider auch keine Plattenläden mehr. Wirklich schlimm. Deshalb muss man etwas greifbares, wertiges schaffen, das mit den Downloads konkurrieren kann. Ich hätte so etwas wie dieses Buch auch schon früher gerne gemacht. Damals hat meine Plattenfirma gesagt: Nein danke, viel zu teuer. Heute sagen sie: Ja, gute Idee.
»Heute wird nicht viel Musik gemacht, die man sich in fünfzig Jahren noch anhören wird«
Wie hören Sie heutzutage Musik?
Hauptsächlich im Auto. Zuhause höre ich am liebsten CDs, ich habe aber keine eindrucksvolle Hifi-Anlage. Der iPod gefällt mir nicht so, da fühle ich mich so unbeteiligt. Ich bin altmodisch, ich weiß, aber ich mag es, eine Platte herauszusuchen und sie in ein Abspielgerät zu legen. Gelegentlich höre ich auch noch meine alten LPs, die gefallen mir immer noch, trotz der Kratzer.
Haben Sie schon mal Musik im Internet heruntergeladen?
Ich weiß gar nicht, wie das geht.
Olympia ist ihr erstes Album mit eigenen Songs seit über acht Jahren. Hat sie plötzlich die Inspiration gepackt?
Ich bin nicht besonders produktiv und arbeite immer sehr lange an Songs. Jeder meiner Songs hat seine eigene Geschichte. Manchmal spiele ich nachts zu Hause noch Klavier und denke auf einmal, oh, was für eine schöne Melodie. Aber das passiert nicht oft. Die meisten Songs entstehen im Studio. Ich liebe es, in meinem Studio mit den Musikern und Toningenieuren zu arbeiten.
Für Olympia haben sich die Gründungsmitglieder von Roxy Music zum ersten Mal seit den Siebzigern wieder im Studio getroffen.
Stimmt. Brian Eno und Phil Manzanera sind auf einigen Tracks dabei. [Andy] Mackay spielt ein bisschen Oboe. Sie dabei zu haben, ist wie ein Talisman. Ich habe sogar darüber nachgedacht, aus diesen Stücken ein Roxy-Music-Album zu machen, merkte dann aber, dass das nicht passen würde. Falls wir nochmal eine Roxy-Music-Platte machen, müsste diese abstrakter, experimenteller klingen.
Wie ist das denn so, wenn Sie mit Ihren alten Kollegen zusammentreffen? Wie beim Klassentreffen?
Alles ganz harmonisch. Vielleicht zu harmonisch, denn Streit fördert meist die Kreativität.
Sie haben immer viele Coverversionen aufgenommen, ohne jemals altmodische Musik zu machen. Wie sollte Ihrer Meinung nach das Verhältnis zwischen musikalischer Gegenwart und Vergangenheit aussehen?
Man möchte Musik machen, die in der Gegenwart relevant und hoffentlich irgendwie neu ist. Gleichzeitig verändert sich die Musik nicht so sehr. Nur der Rhythmus ist großen Moden unterworfen, die Drumpatterns und Drumsounds sind heute ganz anders als früher. Aber gute Texte und Melodien halten ewig, egal ob sie aus den Dreißigern, den Fünfzigern oder den Siebzigern stammen. Ich fühle mich genauso wohl damit, einen alten Song zu interpretieren, wie einen neuen. Ich mag es, beide in einem ähnlichen Kontext zu inszenieren.
Sind Sie manchmal nostalgisch?
Ja, ich glaube schon. Und ich interessiere mich sehr für Geschichte. Ich bin gerade in Köln, in einem Hotel beim Dom. So ein beeindruckendes Gebäude; ich habe es vorhin meinem Sohn gezeigt. Ich lese auch gerne Biographien oder historische Werke über Frankreich zur Zeit der Revolution. Man kann sehr viel aus der Geschichte lernen.
Zur Vorbereitung auf das Interview habe ich Ihre Platte As Time Goes By gehört, auf der Sie Lieder aus den Dreißigerjahren singen. Erstaunlich, wie belastbar diese Songs sind.
Heute wird nicht viel Musik gemacht, die man sich in fünfzig Jahren noch anhören wird. Aber vielleicht war es schon immer so, dass nur die großen Songs die Zeit überdauern. Mir macht die alte Musik viel Freude und ich höre regelmäßig Sachen, die so weit zurückliegen wie Louis Armstrong. Das sind einfach exzellente Aufnahmen – man hört, wie jemand die richtigen Töne wählt. Einer meiner Lieblingsmusiker ist Coleman Hawkins, der große Tenorsaxophonist. So etwas höre ich viel zu Hause, es ist beruhigend, aber gleichzeitig sehr einfallsreich. Und es scheinen viele verschiedene Stimmungen darin auf.
Die Erfahrungen, die Musiker wie Louis Armstrong und Coleman Hawkins gemacht und in Musik umgesetzt haben, scheinen mir heute sehr weit weg zu sein.
Das mag sein. Ich habe mich, als ich aufwuchs, sehr mit afro-amerikanischen Musikern identifiziert, auch mit ihrer Not. Ich komme aus einem ziemlich armen Elternhaus, wir hatten kein Auto, kein Telefon, nichts. Zum Glück konnte ich auf eine gute Schule und danach auf die Universität gehen. Immer, wenn ich über die Anfangsjahre von jemandem wie Louis Armstrong lese, fasziniert mich das ungemein.
Auf Ihren ersten Alben waren ergreifende Coverversionen von Soul- und R&B-Songs zu finden. Fühlen Sie sich immer noch zu dieser Musik hingezogen?
Ja, die mag ich sehr. Das Stax-Label hat mich sehr beeinflusst. Ich hatte das große Glück, Otis Redding und den Rest der Stax-Roadshow in England sehen zu können, kurz vor seinem Tod.
Sie waren bei dieser berühmten Tour? Wahnsinn!
Ja, ich bin extra von Newcastle nach London getrampt. Es war eines der großartigsten Konzerte meines Lebens.
Wären Sie gerne noch einmal jung?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin gerne alt. Ich habe erst jetzt die richtige Balance zwischen Arbeit und dem Rest des Lebens gefunden. Und auf der Bühne fühle ich mich auch wohler als früher. Nein, das Alter gefällt mir viel besser als die Jugend. Bedauerlich, dass es nicht ewig währen wird.