Als Booker T. Jones vor zwei Jahren zusammen mit den Drive By Truckers eine Indierock-Platte herausbrachte, durfte man vorübergehend am Geschmack des legendären Hammond-Spielers zweifeln. Doch nun ist der 66-Jährige zurück auf Kurs: Für sein gerade erschienenes Album The Road From Memphis (Anti/Indigo) hat er sich die Roots als Backing Band und Gabriel Roth von Daptone als Toningenieur besorgt; unter den Gästen finden sich Sharon Jones und Lou Reed. Sie alle halten sich sich jedoch höflich im Hintergrund und überlassen die Hauptrolle Booker T. und seiner Hammond-Orgel, die er so funky spielt wie schon lange nicht mehr; einige der elf Tracks könnten auch obskure B-Seiten aus den Siebzigern sein, so scharf und knisternd wird hier der Hammond-Funk zelebriert.
Gleichzeitig wirft Booker T. in Stücke wie »Representing Memphis« und »Down In Memphis« Schlaglichter auf seine illustre Karriere, in deren Verlauf er den Sound des Memphis-Soul prägte, aber auch mit Rockstars wie Neil Young, Elton John und Eric Clapton zusammenspielte. Vor einigen Wochen hatte ich Gelegenheit, mit diesem vielseitigen und in mancherlei Hinsicht bahnbrechenden Musiker zu telefonieren.
Booker T., man kennt Sie als Hammond-Orgel-Spieler, aber einst haben Sie mit ganz anderen Instrumenten angefangen, oder?
Als Kind habe ich zuerst Ukulele und Klarinette gespielt. In unserer Schulband, da war ich ungefähr zehn, habe ich dann auch Saxofon, Oboe und später vor allem Posaune gespielt.
Wie sind Sie zur Hammond-Orgel gekommen?
Ich wollte die ganze Zeit Klavier lernen. Also begann ich, Zeitungen auszutragen, um das Geld für Klavierstunden zu verdienen. Meine Klavierlehrerin hatte in ihrem Esszimmer eine Hammond B3 stehen. Beim Klavierunterricht habe ich immer zu diesem seltsamen Ding hinüber geschielt – ich hielt es lange für eine Truhe, in der sie ihr Porzellan aufbewahrt. Irgendwann hat sie die Orgel dann mal angeschaltet und ein paar Töne für mich gespielt – von Bach, weil sie die Hammond als klassisches Instrument betrachtete. So habe ich mich in den Klang der Hammond B3 verliebt.
»Ich hielt die Orgel lange für eine Truhe, in der meine Klavierlehrerin ihr Porzellan aufbewahrt«
Wie war damals das musikalische Klima in Memphis? Was für Musik haben Sie als Jugendlicher gehört?
Da gab es eine ganze Menge von Einflüssen. Bei uns auf dem Hof konnte ich die Band hören, die bei den Football-Spielen einer nahen High School aufspielte, die Tuba und die Trommeln. Ein Nachbar spielte Oboe, ich hörte, wie er auf dem Dachboden übte. Im Radio hörte ich Johnny Ace, wie er den Blues sang, und den Jazz-Klarinettisten Woody Herman, den ich sehr bewunderte. Außerdem spielte meine Mutter gut Klavier. Sie spielte Chopin und Liszt, aber auch Gospelsongs in der Kirche. Sie hat als Sekretärin bei einer Versicherung im Zentrum von Memphis gearbeitet. Wenn ich sie besuchte, sah ich mir die Bluessänger an, die auf der Beale Street auftraten.
Sie sind Jahrgang 1944 und waren ein Teenager, als Elvis seine ersten Hits hatte. Wie haben Sie dessen Musik wahrgenommen?
Meine einzige Verbindung zu Elvis ist, dass ich ab und zu beobachtete, wie er mit seinem Motorrad die Park Avenue in Memphis entlang fuhr. Musikalisch hat er mich nicht so beeinflusst.
Zusammen mit Steve Cropper und Al Jackson haben Sie 1962 die Gruppe Booker T. & The MGs gegründet, die zur Hausband des Stax-Labels wurde und noch heute für ihren Funk-Sound bewundert wird. Wie kam dieser Sound zustande?
Das war einfach der Stil, der in den Clubs auf der Third Street in Memphis gespielt wurde. Leute wie Al Jackson, Willie Mitchell, Howard Grimes und Lewis Steinberg haben da gespielt. Wir hatten alle denselben Groove und haben dieselben Songs gespielt – in den weißen wie in den schwarzen Clubs.
Dieser Memphis-Sound wurde bald weltberühmt. Hatten Sie damals das Gefühl, dass beim Stax-Label etwas besonderes entsteht?
Nein, gar nicht. Mir kam das, was wir machten, nicht außergewöhnlich vor. Dass die Leute in Kansas City oder Detroit ganz andere Musik spielten als wir in Memphis, war mir nicht klar.
Heute vergleicht sich jeder junge Musiker mit Bands auf der ganzen Welt.
Ja, das ist ein guter Punkt. Wir haben hingegen in unserer eigenen Welt gelebt. Wir sind nirgendwo hingefahren und haben einfach unser Ding gemacht. Wir haben natürlich die Platten gehört, die im Radio liefen. Aber die stammten von großen Stars. Wir waren einfach Kids, die Musik gespielt haben.
Wie wurde damals die Tatsache aufgenommen, dass bei den MGs schwarze und weiße Musiker zusammenspielten?
In Memphis war das kein großes Ding. In den Clubs kam so etwas häufiger vor. Und außer den Leuten in Memphis hat es anfangs niemand gewusst. Auf unseren Platten war nicht zu erkennen, wer die Musiker waren.
Wie sah es mit Tourneen aus? War es möglich für Sie, Anfang der Sechziger im amerikanischen Süden aufzutreten?
Wir sind anfangs nicht oft außerhalb von Memphis aufgetreten. Wenn doch, dann waren das manchmal schon neue, ungewöhnliche Konzerte. Eine Band wie uns gab es vorher nicht, deswegen gab es auch keine Regeln. In Clubs zu spielen war kein Problem für uns, aber wenn wir in Konzertsälen gespielt haben, musste der Veranstalter sicherstellen, dass das Publikum entweder schwarz oder weiß war. In Macon, Georgia, haben wir zum Beispiel zweimal hintereinander im selben Saal gespielt – einmal vor weißen, einmal vor schwarzem Publikum. Der andere problematische Punkt waren Unterkunft und Verpflegung, da auch Restaurants und Hotels oft für Schwarze verboten waren. Einige Male kam es vor, dass Steve und Duck im Hotel Zimmer gebucht haben und Al und ich dann durch die Hintertür hereinkamen.
Neben den MGs waren die Funk Brothers die andere Band, die den Sound des Sechziger-Soul gepägt hat. Wie haben Sie Ihre Konkurrenten vom Motown-Label damals wahrgenommen?
Wir fanden das toll, was die gemacht haben. Wir haben uns die Motown-Platten sehr genau angehört und manchmal zu kopieren versucht. Ich habe übrigens erst gestern Nacht herausgefunden, dass der Drummer der Funk Brothers ursprünglich aus Memphis stammte. Ich hab’s bei Wikipedia gelesen.
Wirklich? Benny Benjamin?
Ja, genau. Das hat mich total überrascht.
Gab es damals Konkurrenz zwischen Ihnen?
Wir fanden immer, dass die Funk Brothers besser seien als wir.
Wirklich? Wieso das denn?
Sie hatten einfach einen etwas anspruchsvolleren Sound. Etwas poplastiger, mit Streicher-Arrangements. Das hat uns imponiert.
Bryan Ferry hat mir vor ein paar Monaten erzählt, wie er 1967 als Jugendlicher von Newcastle nach London getrampt sei, um den legendären Auftritt der Stax-Revue mit Otis Redding, Sam & Dave und Booker T. & The MGs zu sehen. Dieses Konzert habe sein Leben verändert.
Das freut mich zu hören. Diese Tour hat auch mein Leben verändert. Ich war damals erst 21 – ein Junge aus Memphis, der 15 Dollar am Tag verdiente. Und dann flogen wir nach Europa und traten in London auf, wo uns die Leute frenetisch bejubelten. Dass unsere Musik dort so populär ist, war uns nicht bewusst. Ich hatte keine Ahnung davon, dass wir die Menschen dort derart tief berührten.
War das Publikum in Europa enthusiastischer als in den USA?
Ja, irgendwie schon. Für die war es eine Premiere, denn sie hatten noch nie eine Soul-Show gesehen. Aber auch für uns Musiker war es eine Erfahrung, wie man sie nur einmal im Leben macht. Ich stand zwar auf der Bühne, aber auch für mich war es großartig, wie sich alles entwickelte, welche Kraft die Musik auf einmal bekam. Wie Arthur Conley, Otis Redding und Sam & Dave ihre Songs rüberbrachten. Bei dieser Tour war alles neu und wir von den MGs haben so gut gespielt, wie wir konnten.
Besonders fasziniert hat mich immer die Tatsache, dass Sie Anfang der Sechziger nicht nur als Künstler und Studiomusiker für Stax gearbeitet haben, sondern nebenbei auch an der Universität von Indiana Musiktheorie studierten. Das klingt anstrengend.
Das war es auch, es sind 400 Meilen (Anmerkung: 650 Kilometer) von dort bis nach Memphis. Aber ich war noch jung und hatte genug Energie, um beides gleichzeitig zu machen. An der Uni habe ich viele Dinge gelernt, die mir später sehr nützlich waren, zum Beispiel wie man dirigiert und Orchester-Arrangements schreibt. Außerdem habe ich viel Zeit in der Musikbibliothek verbracht, wo man sich sämtlich wichtigen Werke der klassischen Musik anhören konnte.
Ich vermute, dass Sie ab Anfang der Siebziger auf diese Kenntnisse zurückgegriffen haben, als Sie anfingen, als Produzent zu arbeiten.
Ja, ich musste zum Beispiel keine Arrangeure beschäftigen, das konnte ich alles selbst erledigen. Bis hin zur Notation der einzelnen Stimmen auf Notenpapier.
Klingt so, als hätten Sie von langer Hand geplant, zum Produzenten zu werden.
Nein, geplant habe ich überhaupt nichts. Eigentlich bin ich nach Indiana gegangen, um später vielleicht mal als Musiklehrer zu arbeiten. Und dann war ich auf einmal bei Stax und habe selbst Platten hgemacht. Damals dachte ich, dass es toll wäre, vielleicht mal eine Filmmusik zu schreiben, aber ich habe nicht wirklich an so etwas geglaubt. Das war alles sehr fern.
Gerne würde ich jetzt die vielen tollen Alben durchgehen, die Sie produziert haben, aber dafür fehlt leider die Zeit. Unbedingt erwähnen muss ich jedoch Willie Nelsons Album Stardust. Wie kam dieses Meisterwerk zustande?
Die Sessions begannen am Strand von Malibu. Willie und ich waren damals Nachbarn dort. Wir saßen auf seiner Terasse, mit unseren Gitarren und meinem Keyboard. Wir haben zusammen gejammt und Songs gespielt, die wir schon lange mochten – erstmal ohne den Gedanken an eine Platte. Aber wir haben so ein Spaß daran gehabt, dass wir irgendwann entschieden, doch ins Studio zu gehen.
Wie haben Sie denn die Roots kennengelernt, die auf Ihrem neuen Album The Road From Memphis als Ihre Backingband fungieren?
Ich war zu Gast bei der Jimmy Fallon Show, wo sie die Hausband sind. Wir haben zusammen gejammt und musikalische Ideen für den Auftritt der verschiedenen Gäste entwickelt. Das lief so gut, dass ich schon damals dachte, unbedingt mal eine Platte mit ihnen machen zu müssen.
Das neue Album ist sehr funky, und es kling auch sehr gut, dank des Toningenieurs Gabriel Roth, Mastermind von Daptone Records.
Gabe ist ein toller Produzent. Er kennt die alten Platten aus den Sechzigern und nimmt so auf, wie wir es damals gemacht haben. Er benutzt zum Beispiel ein analoges Tonbandgerät, das ist die Ursache für den natürlichen Sound. Nach all den digitalen Platten, die ich gemacht habe, freue ich mich, dass es das noch gibt. Von allen meinen Platten kommt diese dem Sound am nächsten, den wir in den Sechzigern bei Stax hatten.
Einer der Songs heißt »Representing Memphis«. Sie leben schon lange in Kalifornien – stehen Sie immer noch für Memphis?
Memphis ist meine Heimatstadt. Ich bin dort auch spirituell geboren worden. Die Musik, die ich spiele, ist dort entstanden. Ich komme viel herum, aber ich komme immer wieder zum Ursprungsort zurück. Deswegen repräsentiere ich Memphis, sobald ich meine Hammond anschalte.