Dem einen oder andere Leser dieses Blogs ist es vielleicht aufgefallen, dass ich Soul-Sängerinnen mag und hier bereits über Gladys Knight, Martha Reeves und Aretha Franklin geschrieben habe. (Neueste Meldung zu Aretha ürbigens: Das Smithsonian-Museum möchte den kuriosen Hut haben, den sie bei Obamas Vereidigung trug; die Queen of Soul will ihn allerdings nur ungern hergeben.) Dementsprechend erfreut war ich über die Nachricht, dass Labelle nun eine neue Platte herausbringen, und zwar tatsächlich in der Originalbesetzung aus Patti LaBelle, Nona Hendryx und Sarah Dash; vor unglaublichen 47 Jahren haben diese drei Frauen erstmals zusammen gesungen. Heute kennt man Labelle vor allem wegen ihres Disco-Klassikers »Lady Marmalade«; der anhaltende Erfolg dieses Songs überdeckt jedoch ein wenig, was für eine progressive Gruppe die drei Sängerinnern damals waren. Als ich die neue CD eingelegt habe, nahm ich Patti LaBelles Autobiographie Don't Block The Blessings zur Hand, um nachzulesen, wie aus der R&B-Gruppe Patti LaBelle & The Bluebelles etwas ganz neues wurde.
Entscheidend für die Transformation war die Bekanntschaft zur englischen TV-Journalistin Vicki Wickham, die um 1970 das Management der Band übernahm. »Vicki wanted to do a complete makeover – our material, our appearance, and our performance«, schreibt Patti LaBelle über die Pläne der neuen Managerin. »She wasn't talking about a remodeled Bluebelles. She was talking about a revamp. Basically, she wanted to change us into the female version of the Rolling Stones. The bad girls of rock.«
Nona Hendryx war sofort dafür, Patti LaBelle jedoch total dagegen. «Vicki and I fought constantly«, schreibt sie. »We had some real knock-down, drag-out arguments over the look of the future.« Schließlich setzte sich die Managerin durch und aus einem Soul-Trio, das in eleganten Roben auf die Bühne kam und Motown-Choreographien vorführte, wurde eine der modernsten R&B-Gruppen jener Zeit. Alles änderte sich. Die Musik nahm Rockeinflüsse und eine heftige Dosis P-Funk auf. Statt Liebesliedern sangen Labelle nun Space-Opern, feministische Hymnen und expliziten Clubsoul; die Zeile Voulez-vous choucher avec moi war da keine Ausnahme.
Am auffälligsten – und einflussreichsten – war jedoch ihr neuer Look, den sie vor allem dem Designer Larry LaGaspi verdankten: silberne Plateaustiefel, hautenge Glitzerkostüme, meterlange Federboas, Metallkegel über den Brüsten. So beschreibt Patti LaBelle einen Auftritt im Jahr 1975: »After intermission, Sarah came out in a floor-length pale blue all-feathered cape that covered a hot pink ensemble complete with silver breastplates. Nona was lowered from the ceiling wearing a white feathered headdress and white feathered cape. I was in turqoise lamé from head to toe.« Derart exzentrisch gewandet, wurden Labelle umgehend zur Lieblingsgruppe der New Yorker Schwulen- und Lesbenszene, zu Pionieren des Disco-Hedonismus.
Doch schon im Dezember 1976 war Schluss. Streit, Drogen und Stress führten dazu, dass die Gruppe auseinanderbrach. Das dramatische Ende: Nona Hendryx ging während eines Konzerts in Cincinatti einfach von der Bühne, schloss sich in ihrer Garderobe ein und schlug so lange den Kopf an die Wand, bis sie blutete.
Dass die drei Frauen nach all 33 Jahren nun wieder zusammenfinden, ist also ein ziemlicher Coup. Wie hoch diese Reunion angesiedelt ist, zeigt die illustre Riege von Produzenten: Lenny Kravitz, Wyclef Jean, der ehemalige The-Who-Manager Kit Lambert (ein alter Freund der Gruppe) und das legendäre Phillysoul-Duo Kenny Gamble und Leon Huff. Herausgekommen ist ein gelungenes Album mit großartigem Soulgesang, starken Songs und vielen emotionalen Momenten.
Das einzige, was Back To Now (Verve/Universal) nicht hat, ist ein wirklich überzeugender, einheitlicher Sound. Hier merkt man einmal mehr, wie schwierig es ist, den klassischen Discofunk der Siebziger in die Gegenwart zu übertragen. Gamble & Huff gelingt das erstaulicherweise am schlechtesten, in einem der von ihnen produzierten Stücke funkt sogar eine bratzige Rockgitarre dazwischen. Lenny Kravitz zeigt sich hingegen einmal mehr als gelehriger Black-Music-Student, der von ihm produzierte Opener »Candlelight« ist das beste Stück der Platte.
Vergleicht man Back To Now jedoch mit den von Allen Toussaint produzierten Labelle-Erfolgsalben aus den Siebzigern, so muss man konstatieren, dass hier eine Kulturtechnik verlorengegangen zu sein scheint: Das Level von Funk, musikalischer Lebendigkeit und lässiger Soulfulness, das damals zum Beispiel in den Sea-Saint Studios die Norm war, scheint dem Zugriff ein für alle Mal entschwunden.