»Nur Smokey war schon da«

Sylvester Potts von den Contours über die Anfangsjahre des Motown-Labels, den größten Hit seiner Band und das Genie des Plattenbosses Berry Gordy.

Das legendäre erste Album der Contours - im Original heute ein Sammlerstück.

Foto: Scan

Als 1964 die Ära der großen Motown-Erfolge begann, waren die Contours schon wieder abgemeldet. Ihre wilde Bühnenshow und ihr rauer Vokalstil passten nicht mehr zu dem eleganten Bild, das Berry Gordy Motown verpasste. Sie durften noch einige Singles aufnehmen, die heute bei Sammlern sehr gesucht sind, dann verschwanden sie für etliche Jahre in der Versenkung – bis 1988 ihr größter Hit "Do You Love Me" auf dem Soundtrack des Films Dirty Dancing auftauchte. Schon waren die Contours wieder obenauf und bewiesen, dass man nicht mehr als einen Song braucht, um in die Popgeschichte einzugehen.
Anläßlich der Show "Memories Of Motown" sind die Contours gerade in Berlin. Ich sprach mit Sylvester Potts, seit 1959 bei den Contours und inzwischen das letzte aktive Mitglied der Original-Besetzung.

Sylvester Potts, stimmt es, dass die Contours Ende der Fünfziger von Jackie Wilson protegiert wurden, damals immerhin einer der größten R&B-Stars?
Ja, das stimmt. Jackies Cousin Hubert Johnson hat bei uns gesungen. Jackie war derjenige, der uns den Tipp gab, es mal bei Tamla-Motown zu versuchen.

Was passierte dann?
Wir haben bei Motown vorgesungen – und Berry Gordy meinte, wir sollten in einem Jahr wiederkommen. Er fand, wir seien noch nicht bereit, eine Platte aufzunehmen. Wir waren enttäuscht und sind gleich zu Jackie nach Hause gefahren, um ihm von der Ablehnung zu erzählen. Jackie sagte, wartet mal einen Moment, und ging nach oben, um zu telefonieren. Er blieb ziemlich lange oben – uns kam es wie Stunden vor. Als er wieder runterkam, sagte er, Jungs, fahrt nochmal zurück zu Motown. Das haben wir getan. Und Berry hat uns einen Vertrag gegeben.

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Weil Jackie Wilson Sie so nachdrücklich empfohlen hat.
Ja, daran gibt es keinen Zweifel. Aber Jackie war nicht nur ein netter Mensch, sondern auch ein toller Entertainer. Wie er sich auf der Bühne bewegt hat, war einmalig. Er hätte eigentlich Opernsänger werden müssen, er hatte diese Art von Stimme.

Sie haben schon 1961 bei Motown unterschrieben, vor den Supremes und vielen anderen Stars.
Ja, nur Smokey war schon da. Damals war Motown ein sehr kleiner Laden, eine Handvoll Leute. Es war wie eine Familie, jeder fühlte sich dem anderen verbunden. Auch wir Künstler haben uns gegenseitig den Rücken freigehalten.

1962 hatten die Contours dann ihren ersten Hit: »Do You Love Me«, geschrieben und produziert von Berry Gordy persönlich. Können Sie sich an die Aufnahmesession erinnern?
Wir waren im Studio und er hat uns erzählt, dass er »Do You Love Me« für die Temptations geschrieben hätte. Aber die waren nicht da. Ihr seid hier, hat er gesagt, deswegen könnt ihr's ja mal versuchen. So hat er uns angespornt, uns den Song zueigen zu machen. Wir haben geprobt – und Berry war begeistert. Uns allen war klar, dass der Song nichts für die Temptations war; für uns war er geradezu maßgeschneidert! Wir haben ihn sofort aufgenommen. Berry wusste wirklich, wie man Menschen motiviert und das beste aus ihnen herausholt.

Sylvester Potts (2. v. l.) und die Contours live im Hotel Estrel in Berlin.

Foto: Hotel Estrel

Sie hatten den Song also nie zuvor gehört, haben kurz geprobt und dann gleich aufgenommen. Wie lange hat das alles gedauert?
Vielleicht eine Stunde. Maximal anderthalb. So hat man damals eben gearbeitet.

»Do You Love Me« ist auch wegen des Tricks mit dem Fade-Out ein so memorabler Song geblieben. Kurz vor Schluss wird die Musik leiser und jeder denkt, das Stück sei jetzt zu Ende – aber dann ruft der Leadsänger »Watch me now« und die Musik kommt nochmal zurück. Wer hatte diese Idee?
Berry Gordy.

Was hat er sich dabei gedacht?
Ich habe keine Ahnung, was in seinem Kopf vorging. Er war ein Genie. Diese Idee macht den Song nochmal besser. Das funktioniert noch heute, wenn wir »Do You Love Me« live singen. Die Musik wird leiser, dann kommt »Watch me now« – und alle flippen aus.

Bis heute vermag »Do You Love Me« noch die unwilligste Menge zum Tanzen zu bringen. Von diesem Kaliber gibt es nicht viele Songs.
Das ist unsere Nationalhymne, der größte Hit den wir je hatten. »Do You Love Me« war ja sogar zweimal ein Hit. 1962 haben wir eine Million verkauft, 1988 zehn Millionen, als der Song auf dem Soundtrack des Films Dirty Dancing auftauchte.

Das hat sie bestimmt überrascht.
Wir waren überrascht – und sehr, sehr, sehr glücklich.

Noch bis zum 1. Februar läuft im Berliner Hotel Estrel die Show "Memories Of Motown", bei der die Hits des legendären Labels teilweise von Doppelgängern, teilweise von den Original-Künstlern gesungen werden; so ist zum Beispiel Sylvester Potts Teil der Show, der mit den Contours schon 1961 bei Motown unterschrieb.