»Ich lebe, um zu spielen. Und ich spiele, um zu leben«

Neues Album, neue Tour: Country-Ikone Willie Nelson denkt auch mit 77 Jahren nicht ans Aufhören. Im Interview spricht er über den Verlust seiner Haarpracht, die Essenz der Countrymusik und seine legendär starken Joints. Außerdem verrät er seinen - leicht anzüglichen - Lieblingswitz.

Foto: Universal Music

In den USA ist Willie Nelson längst eine nationale Musikikone, und in der Tat ist es schwer, sich dem Charme und der Klasse des 77-jährigen Texaners zu entziehen. Die Countrymusik verkörpert er wie kein zweiter, doch auch Jazz, R&B, Gospel und Pop singt Nelson so meisterlich, dass er als einer der großen Songstilisten unserer Zeit zu gelten hat. Und er ist noch nicht müde: Gerade erschien sein neues Album Country Music, letztes Jahr brachte er sogar zwei Alben und eine DVD heraus. Und selbstverständlich spielt er weiter ein paar Dutzend Konzerte im Jahr. Nun führt ihn seine aktuelle Tournee wieder mal nach Deutschland, weshalb ich vor einigen Wochen Gelegenheit hatte, mit Willie zu telefonieren.

Willie, was ist mit Ihren Haaren passiert? Ihre Fans sind bestürzt, weil Sie Ihren hüftlangen Zopf abgeschnitten haben!
Eines Morgens kam mir die Erkenntnis: Ich habe keine Haare – die Haare haben mich. Sie waren so lang geworden, dass sie bis in die Koschüssel hingen. (lacht) Aber keine Angst, sie wachsen bereits nach. Erzähl allen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchen.

Besteht ein Zusammenhang zur Ölpest? Man schmeißt doch angeblich Haare in den Golf von Mexiko, um das Öl aufzuhalten.
Was für ein Gedanke! Ich wünschte, da wäre ich früher drauf gekommen. Mit meinem alten Zopf hätte ich viele Strände schützen können.

Meistgelesen diese Woche:

Ihr neues Album enthält Songs aus den Fünfzigern und heißt schlicht Country Music. Ihre Definition des Genres?
Das Album entspricht meiner Vorstellung davon, wie die echte Countrymusik klang. Ich kritisiere niemanden, der in andere Richtungen gegangen ist; das habe ich schließlich auch gemacht. Aber mit diesen Songs von Künstlern wie Hank Williams und Ernest Tubb bin ich aufgewachsen. Für mich stellen sie die wahre Countrymusik dar.

Wer hat die Songs ausgewählt?
T-Bone Burnette, der Produzent. Er hat die Songs und die Musiker mitgebracht. Für mich war es sehr leicht, im Studio diese Songs zu singen, weil ich sie schon mein ganzes Leben lang kenne. Selten hat mir eine Aufnahmesession so viel Freude gemacht.

»Der Blues ist der gemeinsame Nenner für Popmusik auf der ganzen Welt. Der Blues war auch von Anfang an Teil der Countrymusik und ist es immer noch«

Der Opener heißt »Man With The Blues«. Wie wichtig ist der Blues für Ihre Musik?
Johnny Gimble, der großartige Fiddle-Player, hat mal gesagt: Es gibt nur zwei Arten von Musik – »The Star Spangled Banner« und den Blues. Er ist ein großer Bluesfan, und das bin ich auch. Der Blues ist der gemeinsame Nenner für Popmusik auf der ganzen Welt. Der Blues war auch von Anfang an Teil der Countrymusik und ist es immer noch. Alles kommt vom Blues.

Wie haben die Songs aus den Fünfzigern Ihr eigenes Songwriting beeinflusst?
Sie sind einfach, aber dennoch profund. Jeder kann ihre Aussagen verstehen. Es war immer eine Herausforderung für mich, Songs zu schreiben, die auch nur halb so gut sind wie diese Klassiker.

Das ist Ihnen doch längst gelungen! Ihre großen Songs wie »Night Life« und »Funny How Time Slips Away« bewegen seit Jahrzehnten die Menschen.
Ich glaube, ich bin nicht anders als die anderen. Ich verstehe, warum die Menschen lachen oder weinen, warum sie aufstehen und jubeln, warum sie sitzen bleiben und sich langweilen. Ich verstehe all diese Gefühle, weil ich sie selbst empfinde. Die Musik ist mein Weg, um der Realität zu entkommen und dabei in eine größere Realität zu springen: auf der Bühne, vor all den Leuten, die gekommen sind, um mich zu sehen und meine Lieder zu hören.

Das klingt recht einfach, dabei ist es doch sehr schwierig, einen wirklich guten Song zu schreiben.
Ich glaube, mit diesem Instinkt wird man geboren. Einige Leute werden geboren, um Bauern oder Lastwagenfahrer zu werden, einige werden geboren, um Songwriter zu werden. Das eine ist bestimmt nicht wichtiger als das andere, aber ich bin überzeugt, dass wir mit dem Wissen auf die Welt kommen, was unsere Bestimmung ist.

Wann haben Sie gemerkt, was Ihre Bestimmung ist?
Ich habe schon mit fünf oder sechs angefangen, Gedichte zu schreiben. Noch bevor ich gelernt habe, Gitarre zu spielen. Ich habe damals schon gereimt und über Dinge geredet, von denen ich eigentlich keine Ahnung hatte. Mit zwölf begann ich, in Clubs und Bars in Texas aufzutreten.

Sie haben in den letzten Jahren einige tolle Kollaborationen gemacht, zum Beispiel das Album Willie And The Wheel, das sie zusammen mit Asleep At The Wheel aufgenommen haben. Was für eine fantastische Band!
Ja, die sind unglaublich. Ich habe sie zum ersten Mal vor vielen Jahren in Kalifornien gesehen. Ich habe zu Ray Benson gesagt, das ist tolle Musik, aber ihr seid hier fehl am Platz – ihr müsst nach Texas gehen. So hat er's dann auch gemacht. Asleep At The Wheel sind auf jeden Fall eine der besten Bands, mit denen ich je zusammengearbeitet habe – wo immer man auch hinguckt, man sieht einen großartigen Musiker.

Ein weiterer Höhepunkt war Two Men With The Blues, Ihr Album mit Wynton Marsalis. Haben Sie sich gleich mit ihm verstanden?
Eigentlich schon. Inzwischen sind wir gute Freunde. Ich bin öfter mit ihm aufgetreten, in New York und in der Hollywood Bowl; seine Band ist auch ganz großartig. Wir haben außerdem eine DVD gemacht, auf der wir Songs von Ray Charles spielen. Norah Jones ist auch dabei.

Vor ein paar Monaten habe ich mit Norah Jones gesprochen. Die hat mir erzählt, dass Ihre Joints viel zu stark für sie seien. Stimmt das?
Hm, wahrscheinlich schon. Norah ist ein Schatz, ich kann es kaum erwarten, wieder mit ihr Musik zu machen.

Außerdem hat sie gesagt, dass es gar nicht leicht sei, mit Ihnen ein Duett zu singen, weil Sie so ungewöhnlich phrasieren.
Ja, aber sie ist gut genug, um an mir dranzubleiben. Sie ist ein Profi. Sie könnte mit jedem singen. Und sie spielt wirklich gut Klavier.

Sie machen immer einen unglaublich entspannten Eindruck. Sind sie wirklich so, oder kommen sie nur so rüber?
Das ist nur der Eindruck, den die Leute von mir haben. Mich ärgern dieselben Dinge, die jeden ärgern. Ich versuch allerdings, das nicht raushängen zu lassen.

Wie gehen Sie mit Problemen um?
Taekwondo hilft mir dabei. Das hat viele körperliche, spirituelle und emotionale Probleme für mich gelöst. Ich übe immer noch. Das tut mir sehr gut.

Wie geht’s Ihnen gesundheitlich?
Ich bin jetzt 77, und ich kann mich nicht beklagen. Ich kenne viele Leute in meinem Alter, denen es schlechter geht.

Hängt das auch damit zusammen, dass sie immer noch auf der Bühne stehen?
Auf jeden Fall. Wenn ich aufgehört hätte, wäre ich schon lange tot. Ich lebe, um zu spielen. Und ich spiele, um zu leben.

So machen es alle großen Countrysänger. George Jones, Merle Haggard, die sind alle noch auf Tour.
Ja, stimmt. Ich rede viel mit Merle. Auch Ray Price ist noch auf Tour. Es ist gut, dass einige von uns noch da sind und spielen.

Und in zehn Jahren?
Dann sind meine Haare wieder nachgewachsen.

Erzählen Sie mir zum Abschluss noch Ihren Lieblingswitz?
Oh. (Denkt nach.) Ich weiß einen, aber der ist ein bisschen anzüglich.

Immer her damit.
There was this convention of women without legs. The place was crawling with pussy.

Willie Nelsons neues Album »Country Music« ist bei Decca/Universal erschienen. Die DVD »Willie Nelson & Wynton Marsalis Play The Music Of Ray Charles« gibt es leider nur als US-Import. Auf seiner heute beginnenden Deutschland-Tournee wird Willie Nelson drei Konzerte spielen: 17. Juni, Berlin, Tempodrom; 19. Juni, Stuttgart, Freilichtbühne Killesberg; 21. Juni, München, Circus Krone.