»Willie Nelsons Joints sind unglaublich stark«

Die Jazzsängerin Norah Jones über den Klang von Mülltonnen, das Genie von Ray Charles, die existenzielle Tiefe der Countrymusik und die Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit Willie Nelson.

Foto: Blue Note Records

Norah Jones schrieb die ungewöhnlichste musikalische Erfolgsgeschichte der Nullerjahre: Seit 2002 hat sie über 36 Millionen Platten mit sanftem Soul-Jazz verkauft. Warum klingt ihr neues Album The Fall nun nicht ganz so lieblich wie früher? Im Interview spricht Norah Jones über die Suche nach einem raueren Sound, den Einfluss von Tom Waits und gemeinsame Erlebnisse mit Willie Nelson.

Norah Jones, Ihr neues Album klingt kräftiger, beherzter als Ihre bisherigen Platten. Hatten Sie keine Lust mehr, als sanft säuselnde Jazz-Sängerin zu gelten? Ich wollte tatsächlich nicht mehr so glatt wie früher klingen und habe nach einem raueren, kantigeren Sound gesucht. Aber ich hatte nicht das Gefühl, irgendjemand etwas beweisen zu müssen.

Obwohl seine Musik ganz anders klingt als Ihre, scheint Tom Waits Sie in dieser Hinsicht bestärkt zu haben.
Ja, er war eine große Inspiration für mich.

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Inwiefern?
Ich finde es klasse, wenn er Mülltonnen statt Trommeln benutzt. Auf der Suche nach einem Produzenten habe ich mir sein Album Mule Variations angeschaut, dessen Sound ich sehr schätze. So bin ich auf Toms Toningenieur Jacquire King gestoßen, der nun mein Album The Fall produziert hat. Ich klinge aber nicht auf einmal wie Tom, keine Angst.

Mule Variations sei ein »natürlich klingendes Album«, haben Sie gesagt. Was bedeutet das für Sie?
Mülltonnen! Man hört, was tatsächlich vor sich ging. Es ist kein elektronisches Programm, das den Keyboard-Sound erzeugt.

»Viele Leute haben doch keine Ahnung davon, dass ein Großteil des Gesangs, den sie im Radio hören, mit Autotune manipuliert wurde«

Ich glaube, dass Ihre erste Platte auch deshalb so unglaublich erfolgreich war, weil sie ungewöhnlich gut klang. Wie sehen Sie das?
Ich habe schon lange aufgehört, die Gründe meines Erfolgs zu analysieren. Als wir meine erste Platte gemacht haben, hatten wir keinerlei Ambitionen, einen Hit zu landen. Ein paar Musiker haben im Studio auf ihren Instrumenten gespielt, erstes Take, zweites Take, nächstes Lied. Keine Overdubs, keine künstlichen Effekte. Diese Natürlichkeit konnten die Leute hören, das hat sie angesprochen. Die Platte ist so echt, da sind sogar Fehler drauf.

Heute werden Fehler in der Regel mit Computerprogrammen wie ProTools ausgemerzt. Leidet die Musik darunter?
Ja. Viele Leute haben doch keine Ahnung davon, dass ein Großteil des Gesangs, den sie im Radio hören, mit Autotune manipuliert wurde und nur noch wenig mit einer echten Stimme zu tun hat. Aber zum Glück gibt es noch genug Menschen, die lieber etwas Echtes haben wollen.

Sind Sie auch der Meinung, dass dank MP3 die Klangqualität den Bach runtergeht?
Ja, da ist auf jeden Fall etwas dran.

Wird die Musik dadurch nicht abgewertet?
Scheint so. Aber ich bin mitschuldig. Ich habe auch einen iPod. Manchmal denke ich nicht lange darüber nach, setze die Kopfhörer auf und genieße Musik auf diese Art. Musik wird dadurch zugänglicher. Neue Technologien wie MP3 haben Vorteile und Nachteile.

Erzählen Sie ein bisschen von den Sessions für Ihr neues Album.
Wir haben in New York angefangen, in einem Studio namens The Magic Shop. Dort haben wir anderthalb Wochen aufgenommen, dann waren wir eine Woche bei mir zu Hause im Studio, und dann noch eine Woche in LA.

Dreieinhalb Wochen – ganz schön kurz.
Ich habe noch nie länger als vier Wochen für eine Platte gebraucht.

Auf The Fall spielen tolle Musiker mit, zum Beispiel Marc Ribot, der viel mit Tom Waits gemacht hat.
Ja, der ist großartig. Ich wollte mit neuen Leuten zusammenspielen, wusste aber nicht, mit wem. Meine Liste war nicht besonders lang, da standen nur Joey Waronker und James Gadson drauf. Die anderen Musiker hat mein Produzent ausgesucht.

Ich freue mich immer, den Drummer James Gadson irgendwo zu entdecken. In den Siebzigern hat er auf vielen legendären Soul- und Funkalben gespielt, zum Beispiel von Bill Withers. Wie ist er so im Studio?
Super nett. Er ist sehr groß und hat eine ausgesprochen angenehme Aura.

Viele Leute sagen, dass die Platten nie wieder so klingen werden wie in den Siebzigern und dass die Aufnahmetechnik eine bedrohte Kunst sei. Wie sehen Sie das?

Bis zu einem gewissen Punkt stimmt das. Selbst wenn man sich das ganze alte Equipment besorgt und erstklassige Musiker ins Studio holt – wie viele Toningenieure gibt es heute noch, die das auch so aufnehmen können wie früher? Es ist auf jeden Fall nicht leicht, diesen Sound hinzukriegen.

Ganz toll finde ich übrigens Ihr Duett mit Willie Nelson, das kürzlich auf seinem Album American Classic erschien.
Ich bin in Texas aufgewachsen, Willie ist ein Held meiner Kindheit. Inzwischen habe ich ihn kennengelernt und oft mit ihm zusammen gesungen. Wann immer er mich anruf, bin ich da. Aber es ist nicht leicht, ein Duett mit Willie zu singen, weil er so eigenwillig phrasiert.

Worauf muss man achten?
Man muss ihn genau beobachten und sich nach ihm richten. Aber manchmal, wenn ich versuche, ihm zu folgen, richtet er sich plötzlich nach mir. Dann werde wir beide viel zu langsam und verlieren das Timing.

Jeder weiß, dass Willie Nelson ein leidenschaftlicher Kiffer ist. Hat er Ihnen schonmal einen Joint angeboten?
Ja, schon oft.

Das muss sein, wie aus der Hand des Papstes das Abendmahl zu empfangen!
Ich habe nie dran gezogen. Ich möchte meine Zeit mit Willie genießen; ich will nicht total high werden und dann ins Bett fallen. Ein Freund von mir hat einmal an Willies Joint gezogen – die sind unglaublich stark!

Vor ein paar Monaten haben Sie mit ihm und Wynton Marsalis im New Yorker Lincoln Center die Musik von Ray Charles gespielt. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie gerne ich bei diesem Konzert dabei gewesen wäre.
Ja, das war toll. Ich kenne die Musik von Ray Charles sehr gut, es war kein einziger Song dabei, den ich nicht schon lange auswendig konnte. Und da ich auch Willie seit einigen Jahren kenne, fühlte ich mich auf der Bühne sehr wohl. Wynton klang natürlich auch super, seine Band ist großartig.

Was haben Sie von Ray Charles gelernt?
Ich höre seine Musik, seit ich denken kann. Ray Charles hat viel ausprobiert, sogar Countrymusik, aber er klang immer wie Ray Charles, weil er so tief im Blues verwurzelt war. Das ist auch mein Ziel: verschiedene Sachen ausprobieren, verschiedene Instrumente spielen, aber dabei immer so singen, wie ich singe. Auch Willie klingt immer wie er selbst, sogar dann, wenn er eine Reggae-Platte macht.

Sollten die Musiker heute mehr ausprobieren?
Ja, das wäre nicht schlecht. Früher hat Bob Dylan seine Stimme verändert, manchmal von einer Platte zur anderen; plötzlich klang er wie ein anderer Mensch. Das hat mich beeindruckt.

Ray Charles war im Blues verwurzelt. Willie Nelson kommt aus der Honky-Tonk-Countrymusik der Fünfziger. Haben Sie ein ähnliches musikalisches Fundament?
Mehr noch als Jazz wäre das bei mir Countrymusik.

In Deutschland gibt es Vorurteile über die Countrymusik: Viele Menschen glauben, es sei die Musik der Bush-Wähler.
Das ist traurig. Hank Williams, Johnny Cash, Willie Nelson, Merle Haggard – das sind keine konservativen Typen, sondern die echten Outlaws. Mit der aktuellen Countrymusik sieht es allerdings anders aus, die verstehe ich nicht und mag sie auch nicht. Aber wie kann man Hank Williams hören und davon nicht begeistert sein? Er war ein großartiger Sänger, ein fantastischer Songwriter – seine Aufnahmen schweben noch heute im Raum wie Geister.

Kennen Sie das Box-Set mit seinen Radio-Shows, das vor einem Jahr herauskam?
Davon habe ich gehört. Sein Gesang soll sehr viel präsenter sein. Muss ich mir unbedingt besorgen!

Popmusik war lange das Vehikel jugendlicher Rebellion. Kann sie das immer noch sein?
Ja, ich glaube schon. Aber es ist nicht leicht, solche Musik zu verbreiten. Im Radio läuft doch immer nur belangloses Zeug, nichts politisches. Die politische Musik ist da draußen, man kommt nur nicht so leicht an sie ran. Es wäre schön, wenn alle Sender jemanden wie Bright Eyes spielen würden. Aber im Radio laufen eben nur Beyonce und Britney Spears.

Warum machen Sie nicht mal einen politischen Song?
Ich glaube, man kann sich nicht hinstellen und beschließen, so etwas zu tun. Als Bob Dylan all diese Lieder geschrieben hat, hat er sie nicht mit dem Zweck geschrieben, soziale Veränderungen hervorzurufen, sondern weil er eben ein Songwriter ist. Nach allem, was ich weiß, war er sogar ein bisschen irritiert, dass die Leute so viel hineingelesen haben in seine Songs. Ich finde, es wäre ein bisschen arrogant von mir, in ein Studio zu gehen und ein Song über den gesellschaftlichen Wandel aufzunehmen. Ich absorbiere lieber alles, was mich umgibt, und schreibe über das, was ich kenne.