Der Vorhang war beige geblümt, der Stoff eher grob. Ich stand oft am Schlitz zwischen den Bahnen und habe rausgeguckt. Es war hell in meinem Zimmer. Durch das Fenster habe ich die Nachbarskinder beobachtet, die nicht nur Brausepulver essen, sondern auch länger wach bleiben durften als ich. Ich habe mich nach ihrem Garten gesehnt, ein vertrautes Sommergefühl. Ein wichtiger Platz, der vor dem Fenster.
Meine Töchter habe ich lange nicht mehr so stehen sehen. Ich kann mich nicht erinnern, sie beim Sehnen ertappt zu haben und weiß nicht, ob sie den Ausblick aus ihren Fenstern zeichnen könnten. Ihre Zimmer sind gästetauglich. Bett, Tisch, Schrank. Ein Bild von Rotkäppchen, das ihnen zu klein geworden ist, ein schiefes Urlaubsfoto, Bücher, der Rest ließe sich schnell weg- und aufräumen. Sie schlafen nur jede zweite Woche in ihren Zimmern, sie haben noch ein weiteres. Beim Vater. Wie sich das anfühlt, zwei Kinderzimmer zu haben? Ist eines gemütlicher als das andere?
Ich frage sie. Martha sagt, es sei wie mit einem Ferienhaus, das sie gut kenne. Das vertraut sei, das sie aber wieder verlasse. Bei dir kann ich besser einschlafen, beim Papa malen. Basteln und Rumräumen. Es ist meinen Töchtern wichtig, dass ich nichts verändere. Wäscheständer stellen sie sofort in den Flur. Bügelwäsche legen sie auf mein Bett. Sie verteidigen ihren Bereich. Aber sie spannen keine Schnüre, bauen sich nichts, benutzen nur. Wenn sie sich eingelebt haben, ziehen sie weiter, es ist ein Wohnen auf Zeit.
Ob sie später Vielflieger sein werden, Hoteljunkies? Menschen, die schnell packen, nicht viel brauchen? Mir reicht es, meine Sachen auf dem Bett abzulegen um anzukommen, sagt Martha, egal wo. Sie fremdelt nicht, die Fremde ist verhandelbar – und die Heimat? Ich muss daran denken, wie gemütlich räumliche Langeweile sein kann, wie aufregend der Impuls, eine Kommode umzustellen, den Tisch zu verrücken oder die Wände in einer neuen Farbe zu streichen. Ein Gefühl, das meine Kinder nicht kennen: Die Dinge sind noch nicht lange genug das gewesen, was sie sind, bevor sie sich verändern.
Seit acht Monaten wohnen wir in der neuen Wohnung. Die Kinderzimmer aber wirken wie ein Provisorium, die Kisten mit Playmobil wie das Spielangebot in einem Wartezimmer, in dem nur Erwachsene sitzen. Sind Martha und Louise bei ihrem Vater, betrete ich ihre Zimmer kaum, es ergibt sich nicht. Vergangene Woche habe ich einen Teppich bestellt. Er ist geblümt und soll in Louises Zimmer liegen, sie hat ihn ausgewählt. Heimlich hoffe ich, dass sie sich einmal an ihn erinnern wird. Daran, wie er sich anfühlte. Dass es vielleicht einen Fleck, einen Schattenwurf gab, der die Blumen in Tiere verwandelte und sie seiner irgendwann überdrüssig wurde.
Illustration: Grace Helmer