Wenn ich anderen Müttern erzähle, dass ich meine Töchter mit ihrem Vater teile, sie nur jede zweite Woche bei mir leben, sagen sie: »Toll, dann hast du ja Zeit für dich, kannst ausgehen, lesen, Nägel lackieren!« Ich soll mich dann freuen. Das fällt mir schwer. Sicher, in den kinderfreien Wochen habe ich mehr Zeit. Ich arbeite länger, als die Supermärkte geöffnet sind. Ich sitze in Küchen und rauche, ich gehe ins Kino und koche irgendetwas mit Pflaumen, weil niemand da ist, der sie eklig findet.
Das ist alles gut, bis mir einfällt, dass ich nicht weiß, was meine Mädchen gerade machen. Von dort ist es nicht weit bis zur Scham. Wie soll ich mich über diese freie Zeit freuen, ohne mich nicht rabenmutterschwarz zu fühlen? Zum ersten Mal seit elf Jahren habe ich kinderfreie Wochen. Wochenenden, die ich nur mit mir verbringen kann. Als wir noch zu viert lebten, war ich oft alleine unterwegs. Für eine verabredete Zeit. Dann kehrte ich zurück, weil ich erwartet wurde. Ich konnte erzählen, dann wurde gegessen, denn Mahlzeiten mit Kindern sind nicht verhandelbar. Jetzt habe ich an manchen Tagen eine totale Freiheit, ich könnte alles und muss nichts.
An diesen Tagen weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Geh doch raus, sage ich laut zu mir selbst, draußen ist es warm. Ich bin alleine, weil ich vergessen habe, mich zu verabreden, spontan hat keiner meiner Freunde Zeit. Früher habe ich mich verabredet, um Ruhe zu haben, jetzt, um der Ruhe zu entkommen. Aber vielleicht wäre es gut, einfach mal alleine in der Sonne zu spazieren. Andere machen das ja auch. Ich setze die Sonnenbrille auf und verlasse das Haus. Draußen Menschen in den Cafés, lautes Gewusel, Kinderwägen, volle Tische.
Ich würde mich gerne dazu setzen und Zeitung lesen. Ich hätte genug Zeit für die ZEIT. Aber ich kann mich nicht entscheiden, welches Café das Beste wäre, sehe auch nirgends einen freien Platz und will nicht suchend rumstehen. Ich laufe weiter, dann eben ein Spaziergang. Nur wohin? Plötzlich scheint mir das Gehen ohne Grund auffällig. Ich schiebe keinen Kinderwagen, habe keinen Freund neben mir, keinen Hund an der Leine, nicht mal ein Telefon am Ohr.
Ich finde, die Leute gucken. Ich vermute, dass man mir mein Alleinsein ansieht, deshalb gehe ich schneller, soll wenigstens so aussehen, als hätte ich ein Ziel. Ich hetze mich mittlerweile und glaube mir die Eile selber. Wenn jemand unvermittelt meinen Weg kreuzt, fauche ich: Mann, Mann. Wohin nur? Ich steuere auf eine Müller-Drogerie zu, irgendetwas werde ich schon brauchen. Drinnen stehe ich lange vor den Regalen. Ich kaufe Klopapier. Dann gehe ich nach Hause und setze mich auf meinen kleinen Balkon. Schon gut, sage ich mir, einmal am Tag muss man ja raus. Ich nehme mir vor, mich für morgen zu verabreden und das mit dem Alleinsein etwas langsamer anzugehen.