Meine Halbschwester ruft an, sie ist 20. Eben hatte sie Geburtstag, sie bedankt sich für das Geschenk, zögert, sagt: »Ich bin schwanger.«
»Das ist schön«, rufe ich, mehr fällt mir nicht ein. Ich wechsle das Ohr und versuche mich zu erinnern wie das war, junge Mutter sein, mit dem Kind erwachsen werden. Ich habe Martha mit 22 bekommen, und wenn ich mir Fotos anschaue, unsere weichen, offenen Gesichter betrachte, dann denke ich, in diesen Jahren haben wir gemeinsam gelernt, uns in der Welt zurechtzufinden.
Ich gratuliere meiner Schwester. Es wird großartig, sage ich. Jan und ich haben das Elternsein genommen wie eine geerbte Öljacke, in die wir noch reinwachsen würden. Wir haben alte und irgendwann neue Kinderwägen geschoben, Bordsteine rauf und runter. Kapiert, dass man auf der Rolltreppe rechts stehen sollte und uns im Bus niemand Platz machen wird. Dass man Sandkastenspielzeug beschriften muss, sonst ist am Ende des Sommers nur mehr ein Förmchen übrig. Und Flohmärkte? Sind im Frühjahr und im Herbst und meist so anstrengend wie Tage ohne Mittagsschlaf.
Aber keiner von uns musste auf einen Job verzichten. Auf aufregende Aufträge, Vormittage im Café, Wochenendtrips oder Monate in Indien. Jan und ich haben studiert, und dass das erst mal so bleiben würde, wussten wir. Also haben wir uns die Aufgaben und unsere Konten geteilt.
Gleichberechtigt waren wir, was auch sonst, so fühlte ich. Freiheiten mussten nicht ausgehandelt werden, wir waren so frei wie möglich. Und ich habe als Mutter mein Selbstbestimmungsrecht nicht verloren, weil ich noch nicht wusste, wie das gehen sollte: sich selbst bestimmen. Ging ja nicht um mich, ging immer schon um uns. Das hat es uns in den ersten Jahren leicht gemacht. Am Ende vielleicht schwer.
Verzichtet habe ich auf etwas Unwiderrufliches, das habe ich gespürt. Ich würde nie mehr allein sein in dieser Welt. Kein Mädchen mehr sein.
Kaum einer unserer Freunde ist so früh Eltern geworden wie wir, andere Paare waren mindestens zehn Jahre älter, viele auf ihr Kind fokussiert. Zusammen groß werden aber bedeutet, gleichberechtigt wachsen zu dürfen. Wir waren gleichermaßen wichtig. Oder unwichtig. Das Leben ein Balanceakt, in der die Entscheidung für ein zweites Kind so leicht fiel wie die für einen neuen Fahrradanhänger. Ein Glück.
Daran muss ich denken, als ich Jan im Flur verabschiede. Er hat etwas geholt oder gebracht, ich weiß es nicht mehr. Ist durch die Räume gelaufen, hat die Blumen kommentiert, den Bücherstapel durchgesehen, sind die Schuhe neu? Manchmal öffnet er den Kühlschrank, einfach so. Und manchmal ärgert mich das. Wir sind uns nah wie zwei, die miteinander und aneinander gewachsen sind. Jan umarmt mich, die Kinder stehen in der Tür und beobachten uns. Warum macht ihr das? fragen sie, ihre Eltern sind doch Getrennte. Weil alles andere komisch wäre, sagt Jan. Dann ist es Zeit zu gehen.
Illustration: Grace Helmer