Es ist ein weitverbreitetes Phänomen, dass sich Menschen im Ausland oft anders verhalten. Mit wachsender Sprachbarriere nehmen die Hemmungen offensichtlich diametral entgegengesetzt ab. Touristen ziehen blank und grölend durch Altstädte, lassen Haartrocknerbeutel und kistenweise sardischen Sand mitgehen. Hollywoodstars und Spitzensportler, denen im eigenen Land gern alles Mögliche peinlich ist, waren sich früher vor allem in Japan plötzlich für nichts zu schade. Der junge Leonardo Di Caprio erledigte einen Gegenspieler im Flugzeug per knallendem Sektkorken, Harrison Ford setzte sich für Bierwerbung in die Sauna und trank dort pantomimisch aus der Dose. Alles grober Unfug, aber es gab sicher genauso irrsinnig viel Geld dafür, und zu Hause kriegte den Quatsch ja keiner mit. Sofia Coppola hat mit »Lost in Translation« einen ganzen Film darüber gedreht.
Dann passierten dummerweise Social Media und Youtube. Seitdem ist keine Werbesünde mehr vor der Internetgemeinde sicher. Alles wird sauber aufgearbeitet, übersetzt, abgewatscht. Das andere Ende der Welt ist nur noch einen Klick weit entfernt.
Trotzdem hat die amerikanische Schauspielerin Halle Berry nun eine Modekollektion für Aldi Süd entworfen. Die Kollektion »blue motion by Halle Berry« kommt nächsten Montag in die Filialen. Kleider für 14,99 Euro, Chelsea Boots für 19,99 Euro, ein T-Shirt mit dem Motto »true story« für 8,99 Euro – einer ihrer Lieblingsentwürfe, wie sie in einem Interview verriet. Echt wahre Geschichte, diese Discounter-Liaison.
Um es mal ganz nüchtern zu formulieren: Der Imagegewinn dürfte hier eher einseitiger Natur sein. Aldi Süd bekommt mit Berry auf seine Wühltische eine Spur »Hollywoodglamour«, wie bereits auf diversen Portalen zu lesen war, was faktisch absolut korrekt ist. Die 53-Jährige hat für »Monster’s Ball« 2002 immerhin einen Oscar gewonnen, und war danach das Bondgirl, das Ursula-Andress-mäßig aus dem Meer stapfte. Häufigste Anmerkung zur Kollektion deshalb: »Wo sind die Bikinis?«
Dabei gäbe es da ja noch ein paar andere Fragen. Zum Beispiel wer genau bei Aldi Süd nach Jette Joop und Anastacia (amerikanische Sängerin, die ihren Heyday ungefähr zur gleichen Zeit wie Berry hatte) auf die Schauspielerin als Gastdesignerin gekommen ist? Gibt es eine Art Datenbank für Stars, die allmählich reif für Let’s Dance und Werbung irgendwo im alten Europa sind? Wie viele Aldi-Kundinnen haben jemals einen Halle-Berry-Film gesehen oder kennen sie vor allem als Ex-Freundin von Kylie-Minogue-Ex-Freund Olivier Martínez? Und was hat die Beziechnung »blue motion« da zu suchen, das VW traditionell für seine umweltfreundlicheren Modelle verwendet? Wenn bewusst gewählt, wäre diese Anspielung bei 8,99-Euro-Shirts sowieso eher fraglich, nach dem Dieselskandal ist VW hier womöglich eh nicht die beste Assoziation.
Nehmen wir einfach mal an, dieser Nebenjob ist für Halle Berry eine Herzensangelegenheit. Sie hat lediglich vergessen, ihn auf ihrem Instagram-Profil zu posten, beziehungsweise will diejenigen unten ihren fünf Millionen Fans, die nicht im Aldi-Süd-Gebiet wohnen, nicht mit lässigen Cardigans, XL-Schals und Taschen in Lederoptik frustrieren, die für sie unerreichbar bleiben. Denn während Aldi in Deutschland vor allem für »billig« steht, finden die Amerikaner den Food Store mit dem Motto »shop differentli« offensichtlich auch ziemlich cool. Es gibt sogar einen Instagram-Account, der die schönsten Sonnenuntergänge über den amerikanischen Aldi-Parkplätzen sammelt. Nicht nur Menschen, auch Marken sind im Ausland manchmal ganz anders unterwegs.
Wird auch gemacht von: Heidi Klum für Lidl
Typischer Instagram-Kommentar: »Halle’s muss raus!«
Das sagt die Kassiererin: »Ich brauch mal den Preis für Halle-Handtasche grau in Lederoptik«