Die Mask-haves des Jahres

Kamala Harris' Sonnenbrille beim Joggen, ein königliches Vintage-Hochzeitskleid und der Mund-Nasen-Schutz als allgegenwärtiges Accessoire, in Szene gesetzt von Stars wie Lizzo – das waren die wichtigsten Mode-Erscheinungen 2020.

Foto: Getty Images / Instagram / Instagram

Frau des Jahres: Kamala Harris

Erste weibliche Vizepräsidentin aller Zeiten und dann auch noch eine »Woman of Colour« – Kamala Harris schreibt dieses Jahr so viel designierte Geschichte, dass sie natürlich auch in unserem Rückblick nach ganz oben muss. Modisch gesehen hatte sie ihren interessantesten Auftritt nicht in Converse im Wahlkampf und, nein, auch nicht in diesem weißen Carolina-Herrera-Anzug am ersten Auftritt nach der Wahl. Das war eigentlich ein ziemlich vorhersehbarer Suffragetten-Dreh, den auch Hillary Clinton, Nancy Pelosi und AOC schon hinlegten. Viel besser, weil spontaner, cooler, natürlicher: Das schon jetzt legendäre Video beim morgendlichen Joggen, in dem sie Joe Biden zur Wahl gratuliert.

Meistgelesen diese Woche:

»We did it, Joe!« ist bereits der am zweithäufigsten geteilte Tweet des Jahres, die Szene wurde außerdem zum Meme auf Tiktok, wo User Harris’ Auftritt mit allen Details nachstellten (inklusive dem Secret Service im Hintergrund). Seitdem weiß die Welt außerdem, dass die baldige Madam Vice President beim Sport offensichtlich Nike trägt, was weniger überraschend ist, weil das grob die Hälfte der Welt auch tut. Dafür ist die Wahl ihrer Sonnenbrille deutlich individueller: das Berliner Brillenlabel Mykita. Welches Modell war ebenfalls schnell ermittelt, »Lahti« in hellem Braun mit grün getönten Gläsern. Bessere PR hätte es 2020 nicht geben können.

Aber das allerbeste Accessoire dieses historischen Moments? Harris’ herrlich-befreites Loslachen, in dem sämtliche Anspannung der vergangenen Monate von ihr abzufallen schien. Hoffentlich kriegen wir das ab 2021 noch öfter zu hören.

Konkurrieren ebenfalls um den Titel: Swjatlana Zichanouskaja, Özlem Türeci
Kandidieren für die Gegenkategorie: Kim Kardashian, Melania Trump
Typischer Instagram-Kommentar: »You did it, Kamala!«

Gender-Bender 2020: Harry Styles und Lil Nas X

Foto: Getty Images

Klar, der Titel geht natürlich an Harry Styles. Der Engländer hat es immerhin als erster Mann solo auf das Vogue-Cover geschafft, was ja schon sprachlich nach Besteigung eines verdammt hohen Berges klingt. Noch dazu trug er dabei ein Rüschenkleid von Gucci, auf weiteren Fotos Kilt, Reifrock mit Schleife, jede Menge Schmuck und Nagellack. Damit ist er ein »Trailblazer« (deutsch: Wegbereiter) vor dem Herrn, beziehungsweise für den Herrn. Die Grenzen zwischen klassischer, nach Geschlechtern getrennter Mode zerfließen immer mehr, Marken wie JW Anderson bringen Kollektionen ohne Gender-Etikett auf den Markt.

Ähnlich furchtlos wie Harry Styles sich in allen Abteilungen bedient, tut es auch der Rapper Lil Nas X. Er trägt ebenfalls gern mal transparente Blusen, lässt seinen typischen Cowboy-Hut mit Perlen behängen, trägt neonfarbenen Animalprint. Vorläufiger Höhepunkt: Sein Auftritt bei den Grammys vergangenen Januar. Dort schlug der 21-Jährige in einem maßgeschneiderten Versace-Look auf. Eine Mischung aus Cowboy- und Bondagedress, mit Netztop, Harnisch, und das alles - oh Boy - in knallpinkem Leder. Die LGBTQ-Bewegung juchzte, die konservativen Country-Fans schluckten, der Rest der Welt googelte: Lil Nas X in Versace schaffte es auf Platz drei der am meisten gesuchten Promi-Bilder des Jahres.

Typischer Instagram-Kommentar: »Harry, fahr schon mal das Damenrad vor.«
Das sagen die Großeltern: »Ja macht denn hier jetzt jeder, was er will?«
Passender Film: »Pretty in pink«

Dauertrend des Jahres: Vintage

Foto: Getty Images

Klingt erstmal nach altem Hut, und, ähm, naja, das ist es hier im wörtlichen Sinne ja auch: Natürlich war Vintage schon in den letzten Jahren ein Riesending, weil günstiger, nachhaltiger und die logische Konsequenz aus all den überfüllten Kleiderschränken da draussen. Aber dieses Jahr hat abgelegte Kleidung noch einmal ein Upgrade bekommen. Erst trug Jennifer Aniston bei den SAG Awards im Januar ein Dior-Slipdress aus der John-Galliano-Ära, woraufhin die Suchanfragen für »Vintage« raketenmäßig in die Höhe schossen. (Alte Second-Hand-Hasen wissen natürlich, dass Julia Roberts bereits 2001 ein schwarz-weißes Valentino-Kleid aus früheren Jahren für die Oscars wählte. Aber damals war die Idee offensichtlich noch so verrückt, dass sich die Nachahmer in Grenzen hielten.)

Dann heiratete im Juli Prinzessin Beatrice in einem Kleid ihrer Oma (Elizabeth II, that is), was ironischerweise ungleich moderner aussah als das 11000-Pfund-teure Givenchy-Kleid von Meghan Markle. Wenn also Hollywood und die Windsors gebrauchte Kleider tragen können – wer dann bitteschön nicht?

Entsprechend soll der Markt die nächsten Jahre noch deutlich wachsen, vor allem deutlicher als der mit »neuer« Mode, neben den riesigen Marktplätzen Vestiaire Collective, Depop oder Vinted kamen dieses Jahr wieder eine Reihe neuer Anbieter hinzu. Hierzulande etwa »Yesterday Domani« oder »Project Secondhand«, Selfridges in London richtete erstmals eine Vintage-Abteilung ein, sogar Gucci betreibt jetzt einen eigenen Resale in Kooperation mit TheRealReal. Die Zukunft? Sieht angenehm alt aus.

Wird getragen von: bald allen
Typischer Instagram-Kommentar: »Das hatte ich auch mal.«
Passender Song: »What goes around ... comes around« (Justin Timberlake)

Angry white old fake man: Rudy Giuliani

Ein Märchen aus 2020: »...und irgendwann, als sich der Nebel lichtete und die Welt allmählich wieder deutlicher sah, da bröckelte die Tarnung der modernen Vampire. Ihre angeklebten Riesen-Krawatten gingen flöten, das Contouring wurde fleckig und die Haarfarbe rann ihnen an den Schläfen herunter. Bis sie schließlich zu Staub, also in der Bedeutungslosigkeit, zerfielen.«

Trump-Anwalt Rudy Giuliani, wie er sich bei einer Pressekonferenz Mitte November um Kopf und Kragen und dann auch noch um die Haarfarbe redete – bei so viel Symbolik müssen ganz große Kräfte am Werk gewesen sein, oder mindestens Borat.

Tagelang analysierten Friseure weltweit, was da jetzt genau zerflossen sein könnte. Haarcreme, Färbung, Make-up? Die Ursache änderte nichts am Resultat: Ein besseres Sinnbild für die Fraktion der alten weißen Männer, die doch sonst so gern alles als fake verteufelt, hätte es nicht geben können. Am Ende sind sie selbst: fake.

Wird auch nicht getragen von: Donald Trump, Gerhard Schröder, Silvio Berlusconi
Typischer Instagram-Kommentar: »Läuft bei mir«
Das sagt die Friseurinnung: »Wäre er mal zu den Profis gegangen.«

Unfreiwilliges Accessoire: Mund-Nase-Schutz

Darf man einen eigentlich medizinischen Artikel als Fashion-Statement missbrauchen? Puh, tja, für die Frage ist es spätestens jetzt eigentlich zu spät. Die alltägliche Masken-Kakophonie da draußen spricht Bände. Die Welt hat sich den Mund-Nase-Schutz erst sehr widerwillig, dann aber mit Vollgas zu Eigen gemacht. Von der Spaß-Maske mit Vampirzähnchen bis zum FFP2-Modell in Rosa ist zumindest dieser Markt voll für die Pandemie gerüstet.

Modisch waren vor allem zwei Phänomene interessant. Die medizinische Abteilung, darunter Cate Blanchett, die sogar bei den Filmfestspielen von Venedig im September zum Abendkleid angenehm uneitel eine normale Einwegmaske kombinierte. Und das andere Extrem: der Total-Look 3.0, das neue Accessoire farblich auf die Kleidung abgestimmt. Sängerin Rosalía postete sich mit Zweiteiler, Handschuhen und passendem Mundschutz von Balmain, Lizzo stimmte ihre Maske, ebenfalls plus Handschuhe, sogar auf den rosa Bikini mit Ananasprint ab. Womit man die Eingangsfrage vielleicht doch noch beantworten könnte: Solche irren Fotos heiligen die Zweckentfremdung allemal.

Wird getragen von: hoffentlich allen
Wird getragen mit: Courage, beschlagenen Brillengläsern
Typischer Instagram-Kommentar: »If you can read this, you are too close.«

Neues Mutter-Tochter-Gespann: Heidi und Leni

Erst schlüpfte Cindy Crawfords Tochter Kaia Gerber vor gut zwei Jahren in die Fußstapfen ihrer Mutter, dann lief Kate Moss’ Tochter Lila Grace diesen Herbst für Miu Miu auf dem Laufsteg, und die ganze Zeit dachten wir latent, da fehlt doch noch irgendwer aus der Next-Topmodel-Liga. Tadaaaa.... Leni Klum!

Klar, die hatten wir nicht auf dem Schirm, weil Mama Heidi ihre Kinder bislang ziemlich erfolgreich von der Öffentlichkeit fernhielt. Dafür hat das Nachwuchsmodel jetzt das größtmögliche Outing bekommen. Die 16-Jährige ziert das aktuelle Cover der deutschen Vogue, natürlich gemeinsam mit Heidi, die zwar auf Instagram bemerkte, es falle ihr ein bisschen schwer, Leni »in diese Welt loszulassen«, aber – wenn schon denn schon – gleich noch zig Videos mit ihr vom Set aufnahm, die auf Social Media gerade die ganz große Runde machen.

Wahrscheinlich ging es bei der Farbwahl fürs Cover ebenfalls um größtmögliche Aufmerksamkeit: Leni und Heidi tragen knallfarbene Hosenanzüge im Partnerlook. Sieht schwer nach Achtzigerjahre-Escada aus, ist aber aktuelles Versace. So oder so, laut der Mode-Such-Plattform Lyst stiegen nach Erscheinen der Vogue die Suchanfragen nach »mehrfarbigen Artikeln« in Deutschland um 14 Prozent. Na dann, auf ein knallfarbenfrohes 2021.

Nicht zu verwechseln mit: Hanni und Nanni
Typischer Instagram-Kommentar: »Pink-Blau-Grün – die Bergisch-Gladbach-Trikolore!«
Passender Song: »Mother’s daughter« (Miley Cyrus)