Ein Jahr im Zeichen der Jogginghose

Markus Söders Haare, Anna Wintours Homeoffice-Look und David Beckhams Landlust-Chic: Die Corona-Pandemie und die Black-Lives-Matter-Bewegung brachten modische Überraschungen. Manches darf 2021 bleiben, etwa Stars, die politisch Stellung beziehen. Teil 2 unseres Rückblicks.

Fotos: Getty

Homeoffice-Look des Jahres: Anna Wintour in Jogginghose

Fashion Weeks, rote Teppiche, PR-Veranstaltungen: Die Modebranche ohne Events ist eigentlich kaum denkbar. Und so zeigte sie sich anpassungsfähig, da alles zum Stillstand kam. Als während der Mailänder Fashion Week im Februar die Stadt zum Epizentrum des ersten großen Covid-19-Ausbruchs in Europa wurde, beschloss Giorgio Armani kurzerhand, seine Show ohne Publikum abzuhalten und diese stattdessen per Livestream zu übertragen, dutzende Modehäuser sollten ihm in den anschließenden Monaten folgen. Digitale oder »phygitale« Fashion Shows sind das neue Ding, ebenso wie Interviews, Konferenzen und sonstige Branchentreffen, die heute nicht mehr in Mailand und Paris, sondern einfach im Internet stattfinden. Im April lud Vogue zu den »Vogue Global Conversations«, bei denen DesignerInnen wie Marc Jacobs oder Stella McCartney mit anderen Branchengrößen und Vogue-RedakteurInnen auf Zoom zusammenkamen. Um das Format anzukündigen, zeigte sich Anna Wintour, Chefredakteurin der US-Vogue seit 1988 und die wohl einflussreichste Frau der Modebranche auf einem Foto im Home Office – und zwar mit Jogginghose. Dieser ungewöhnliche Anblick der sonst stets von Kopf bis Fuß in elegante Designerteile gekleideten Wintour schien einigen zu bedeuten, dass nun wirklich alles in der Welt aus den Fugen geraten sei, eigentlich zeigt er aber nur, dass wir vor dem Lockdown-Schreibtisch eben doch alle gleich sind. Und Wintours sonstige Markenzeichen, die große Sonnenbrille und ihr akkurater Pagenschnitt, sitzen auch im heimischen Büro perfekt. Alles in Ordnung also.

Meistgelesen diese Woche:

Wird getragen von: SportlerInnen, Promis am Flughafen, Paris Hilton (seit 2001), am Schreibtisch Arbeitenden weltweit (seit 2020)
Wird getragen mit: Obenrum schick
Ausgelutschter Instagram-Kommentar dazu: »Wer Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren«, sagte schon Karl Lagerfeld!

Feministisches Outfit des Jahres: Natalie Portman bei den Oscars

Die Oscars waren das vielleicht letzte große Prä-Pandemie-Event der Unterhaltungsbranche 2020. Bei der Verleihung am 9. Februar wurde in der Kategorie »Beste Regie« Bong Joon-ho für sein Meisterwerk Parasite ausgezeichnet – aus einer ausschließlich männlich besetzten Liste an Nominierten. Erst einmal, nämlich zehn Jahre zuvor, war mit Kathryn Bigelow überhaupt eine Frau mit dem Oscar in der Regie-Kategorie bedacht worden, bis heute waren nur vier weitere Frauen jemals nominiert. Auf diesen Missstand machte Schauspielerin Natalie Portman auf dem roten Teppich auf besonders elegante Weise aufmerksam: Entlang ihres bodenlangen Capes von Dior waren die Nachnamen verschiedener Regisseurinnen gestickt, die dieses Jahr eine Nominierung verdient hätte, unter anderem Lulu Wang, Greta Gerwig, Lorene Scafaria und Marielle Heller. Walk of Fame zum Überwerfen sozusagen.

Wird getragen von: Sankt Martin, Rotkäppchen, Superheldinnen
Der Hashtag dazu: #OscarsSoMale
Nicht verwechseln mit: Sinnentleerten »Feminismus«-T-Shirts für 14,99 Euro

Frisurentrend des Jahres: Laissez-Faire

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Die Friseur-Schließungen im Lockdown stellten dieses Jahr einige vor Herausforderungen. Es wurde selbst geschnitten, selbst gefärbt oder eben: einfach wachsen gelassen. Doch während unsereins mit Spliss, grauen Haaren oder rausgewachsenen Schnitten nur vor Menschen des eigenen Hausstands oder das Zoom-Gegenüber treten musste, war das Publikum (und die damit einhergehende Entlarvungsgefahr) bei Promis um einiges größer. Lady Gaga trat bei ihrem Wohnzimmerkonzert im April mit viele Zentimeter langem dunklen Haaransatz vor ihre Fans, Cristiano Ronaldo hingegen ließ von seiner Freundin das Haarschneidegerät anlegen. Doch wenige Gesichter (und Frisuren) waren in diesem Jahr größerer Öffentlichkeit ausgesetzt als die der PolitikerInnen in den Nachrichten, Corona-Extras und Talk-Shows dieses Landes. Kritische Zeiten, besonders für KurzhaarschnittträgerInnen. Während sich Grünen-Chef Robert Habeck für einen Selfmade-Schnitt vorm Vergrößerungsspiegel im Hof entschied, verzichtete Bayerns Ministerpräsident Söder ganz aufs Stutzen – trotz wucherndem Haupthaar. »Ich gebe offen zu, ich hätte dringend einen Haarschnitt nötig«, sagte er dem Bayerischen Rundfunk im April. Ein Zeichen seiner Uneitelkeit? Eher im Gegenteil. Familienmitglieder hätten ihm schon angeboten, »man könne doch mal was machen«, das sei ihm aber zu risikoreich. »Ich vertraue auch eher dem Handwerk selbst, als irgendwelchen Hobbyfriseuren«, so Söder. Am 4. Mai, der Tag, an dem die Friseure nach dem ersten Lockdown wieder öffnen durften, bildeten sich vielerorts lange Schlangen – ob Söder wohl in einer davon stand?

Die Accessoires dazu: Haargummi, Mütze, Haartönung, Ansatzstift
Unterhaltsame Bilder zum Thema: #CoronaHaircut auf Twitter
Der Song dazu: Let it grow, let it grow, let it grow

Wichtigstes Statement: Black lives matter

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Black lives matter. In diesem Jahr haben besonders die brutalen Todesfälle von Breonna Taylor in Louisville und George Floyd in Minneapolis gezeigt, warum dieses Mantra noch immer keine Selbstverständlichkeit ist. Und wie bitter nötig die auf die Todesfälle folgende Anti-Rassismus-Debatte und weltweiten #Blacklivesmatter-Proteste waren. Viele Prominente demonstrierten ihre Unterstützung der Bewegung bei öffentlichen Events auch über ihre Kleidung: etwa bei den Emmys im September, wo unter anderem Regina King ihren Preis für ihre Darstellung in Watchmen im Breonna-Taylor-Shirt (digital) entgegennahm und Schauspielerin Yvonne Orji ihr Abendkleid zum frischen Buzz Cut mit einrasierter »Black lives matter«-Faust paarte.

Auch im Sport wurden wichtige politische Statements gesetzt – leider nicht ohne Gegenwind. Lewis Hamilton etwa trug nach seinem Sieg beim Großen Preis der Toskana auf dem Podium ein schwarzes Shirt mit Breonna-Taylor-Aufdruck, anschließend meinte die Formel 1, neue Regeln festlegen zu müssen, wonach Fahrern das Tragen von Kleidung mit Botschaften vor und nach den Rennen künftig untersagt sind. Die japanische Tennisspielerin Naomi Osaka trug bei den US Open Nase-Mund-Masken mit den Namen von sieben verschiedenen Opfern von Polizeibrutalität und wurde daraufhin aufgefordert, »Politik aus dem Sport herauszuhalten«. Ob sie das davon abgehalten hat, ihre Statement-Masken weiterzutragen? Ganz im Gegenteil, es trieb sie sogar bei ihrem anschließenden Gewinn des Tennisturniers an, wie sie auf Twitter erklärte.

Trageanlass: Je öffentlichkeitswirksamer, desto besser
Wichtigstes Accessoire: Das Wissen, dass es mit dem Tragen eines T-Shirts nicht getan ist
Nicht verwechseln mit: hohlen Statement-T-Shirts

Das »Core« des Jahres: Cottagecore

Was mit »Hygge« einst als Interieurtrend begann, setzte sich 2020 als »Cottagecore« in der Mode fort – die neue Heimeligkeit beziehungsweise Landlust. In Zeiten der Isolation und abgesagter Reisen wurde das Land zum Sehnsuchtsort eingeengter Städter, hier fühlte man sich trotz Kontaktsperren am wenigsten eingesperrt, hier ließ es sich nach dem Unkrautjäten eingehüllt in die selbstgemachte Häkeldecke, einen Tee aus selbstgezüchteten Kräutern trinkend am ehesten die Pandemie vergessen. Neben haufenweise neuer DIY-Fähigkeiten kommt Cottagecore selbstverständlich auch mit einem eigenen Look daher, der irgendwo zwischen romantischen (Selbst-)Strickpullis, Latzhosen, Gummistiefeln und Wachsjacken angesiedelt ist – eben genau richtig für das Leben im Gartenhäuschen. Eigentlich dem glamourösen Lifestyle zugetane Celebrities wie Kourtney Kardashian oder Bella und Gigi Hadid zeigen sich mit Holzfällerhemd und Babylamm (erstere) bzw. Gummistiefeln und Büffel (zweitere) in Ranch-Umgebung. Taylor Swift hat sogar zwei ganze Alben (»Folklore« und »Evermore«) um dieses Phänomen herumgestrickt, modisch begleitet von Cardigans, Aran-Wollpullovern und Flechtzöpfen. Der König des Cottagecore ist jedoch David Beckham – auf dessen Instagram-Account hätten wir vor lauter Cordhosen, Schiebermützen und Spazierstöcken schon fast die Inspiration zum Kränze binden übersehen.

Wird getragen mit: Cardigan, Clogs, Cordhose, Wachsjacke, Flanellhemd, Latzkleid, Gummistiefel, Heckenschere, Strohhut, Flechtfrisur, Grasflecken
Wird getragen beim: Kränze binden, Bananenbrot backen, Kräuter züchten, Kürbisse schnitzen, Socken stricken
Nicht verwechseln mit: »The Simple Life« mit Paris Hilton und Nicole Richie

Faszination des Jahres: Jennifer Lopez

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Sich seinem Alter entsprechend kleiden – was bedeutet das überhaupt und wer macht die Regeln dafür? Dass die Gesellschaft ihre Vorstellungen dessen, was man als Fünfzigjährige so tragen sollte, über Bord werfen sollte, zeigte in diesem Jahr niemand so eindrucksvoll wie Jennifer Lopez. Im Februar, rund ein halbes Jahr vor ihrem 51. Geburtstag, trat die die Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin zusammen mit Shakira in der Halbzeitshow des Superbowls auf – und tanzte, turnte und wirbelte dabei in knappen, glitzerüberzogenen Versace-Outfits über die Bühne, die mehr »Showtime!« nicht hätten sagen können. Der Auftritt, gepaart mit ihrer Darbietung als Stipperin in Hustlers im vergangenen Jahr oder ihrem neuen Albumcover, das sie komplett nackt zeigt, führt(e) zu neidvollen bis ungläubigen Diskussionen um ihren atemberaubenden Körper, der in den letzten 25 Jahren kein bisschen gealtert zu sein scheint, wie bitte sie das denn auf natürlichem Wege hinbekommen haben könnte und dass das aber nun wirklich nicht der neue Anspruch an Körper und Kleidung für Über-50-Jährige sein könne. Währenddessen freuen wir uns, dass J.Lo offenbar die beste Zeit ihres Lebens hat und endlich mal jemand die wichtigen Mode-Kampagnen des Jahres (u.a. Versace, Coach, Guess) einheimst, der nicht 21 ist.

Wird getragen mit: Transparenter Nylonstrumpfhose in 900 Den, doppelseitigem Klebeband, schwitzfestem Make-up
Trageanlass: Auftritt beim Zirkus oder Varieté-Theater
Passender Song: »I’m still Jenny from the block«