»Ich will mein Motorrad verkaufen, da mir das Fahren zu gefährlich geworden ist. Einer meiner Bekannten will den Motorradführerschein machen und es mir abkaufen. Ich habe ihm abgeraten, da er aus meiner Sicht zu ›schludrig‹ ist und sich erheblichen Gefahren aussetzen würde. Ist es moralisch vertretbar, es ihm trotzdem zu verkaufen, da er so oder so eines erwerben will?«Tom R., Kempten
Sie fragen nach der moralischen Vertretbarkeit. Unvertretbar wäre eine Handlung, die gegen moralische Grundsätze verstößt oder unvertretbare Folgen nach sich zieht. Einen moralischen Grundsatz, dass man keine Motorräder verkaufen darf, kann ich nicht sehen. Wohl aber den, niemanden unnötig erhöhter Gefahr auszusetzen. Was allerdings zu Anschlussproblemen führt: Ist Ihr Freund nicht als volljähriger, geistig gesunder Mensch frei darin, sich selbst Gefahren auszusetzen? Dann wäre es eine unzulässige Bevormundung, wenn Sie versuchten, das zu verhindern. Und wäre es tatsächlich Ihr Handeln, das ihn einer erhöhten Gefahr aussetzte, mit anderen Worten: Wären Sie überhaupt ursächlich für diese Gefahr, wenn er sich so oder so ein Motorrad kaufen will? Dieselbe Frage stellt sich, wenn man auf die Folgen einer Handlung abstellen will.
Ich glaube, man muss dies alles nicht abschließend klären, wenn man die Betrachtungsweise ändert. Meines Erachtens sollte man sich generell bei seinem Verhalten wesentlich stärker von der Überlegung leiten lassen, ob man zu dem, um das es geht, einen Beitrag leisten will oder nicht. Unabhängig davon, ob es nun am Ende wirklich eine Auswirkung hat. Zumal dieser Ansatz den großen Vorzug hat, dass man dabei den Maßstab nur an das eigene Verhalten legt und nicht versucht, anderen die eigenen Maßstäbe überzustülpen.
Interessanterweise führen mehrere Wege zu dieser Erkenntnis. Man kann es als Frage des tugendhaften Verhaltens im Sinne Aristoteles’ ansehen oder als Ausfluss der Idee Kants, dass nur der gute Wille zählt und nicht die Folgen der Tat. Oder aber als Frage der Integrität, dass man nicht gegen seine Überzeugungen handeln soll, um sich nicht zu verbiegen.
Sie halten es aus achtenswerten Gründen für schlecht, wenn Ihr Freund Motorrad fährt. Dann sollten Sie auch keinen Beitrag dazu leisten.
Literatur:
Zur Tugend bei Aristoteles:
Aristoteles, Nikomachische Ethik, Erstes Buch Kapitel 13 1102 a5 ff. und insbesondere Zweites Buch
Gute Übersetzungen gibt es von Olof Gigon bei dtv, München 1991 und Ursula Wolf im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 2006
Zum guten Willen bei Kant:
Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie Ausgabe S. 393ff.
„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. ... Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich, gut und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zu Stande gebracht werden könnte.“ - online abrufbar
Zur Integrität:
Arnd Pollmann, Integrität. Aufnahme einer sozialphilosophischen Personalie, transcript Verlag, Bielefeld 2005
Bernard Williams, Kritik des Utilitarismus, Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1979
Lesenswert in diesem Zusammenhang auch:
H. Lenk / M. Maring, Verantwortung, in: Joachim Ritter, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel (Hrsg.)
Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 11, Schwabe Verlag Basel, 2001, Spalte 566–575.
Micha H. Werner, Verantwortung, in: Marcus Düwell, Christoph Hübenthal, Micha H. Werner, Handbuch Ethik, Verlag Metzler, Stuttgart 2002, S. 521 – 527
Kurt Bayertz (Hrsg.), Verantwortung: Prinzip oder Problem, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995
Illustration: Serge Bloch