Feiern wider Willen

Sollte man an einer Überraschungsparty teilnehmen, auch wenn man weiß, dass die Jubilarin keine Lust darauf hat? Unser Moralkolumnist hat zur Zwangsfeier eine entschiedene Meinung.

»Eine gute Bekannte hat einen runden Geburtstag, sie wird siebzig. Sie will nicht feiern und ist deshalb in den Urlaub gefahren. Ihr Sohn meinte: ›So kommt die Mama nicht weg.‹ Wenn sie zurückkommt, holt er sie ab und fährt in eine für die Geburtstagsfeier reservierte Gaststätte. Dort warten schon viele Gäste, auch meine Frau und ich sind eingeladen. Sollen wir hingehen?« Hermann I., München

Meines Wissens ist es hierzulande üblich, dass man Geburtstagskinder nicht nur feiert, sondern ihnen auch Wünsche erfüllt, sogenannte Geburtstagsgeschenke überreicht. All dies soll den Geburtstagskindern Freude bereiten. Dass es dabei mehr um die Vorstellungen ihrer Nachkommen geht, ist – Kulturen haben oft die unterschiedlichsten Rituale – theoretisch denkbar. Konkret gehört habe ich es noch nicht, für das hiesige Brauchtum glaube ich es ziemlich sicher ausschließen zu können.

Zwar kann man der Idee einer Geburtstagsfeier, speziell der eines runden, den Ansatz nicht absprechen, dass sie nicht nur dem Geburtstagskind gilt, sondern zugleich Familie und Freunden die Gelegenheit geboten wird, ihre Zuneigung zu zeigen und auch untereinander in Kontakt zu kommen. Dennoch kann das nicht so weit gehen, dass man sich damit dem expliziten Wunsch des Geburtstagskindes diametral entgegensetzt. Und wenn der Sohn seine Mama »nicht so einfach wegkommen« lassen will, klingt das, als wenn er irgendwelche Themen mit ihr offen hat. Für solche Fälle scheint mir eine Psychotherapie geeigneter als eine Zwangsfeier.

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Hinzu kommt, dass eine Siebzigjährige Dame aus dem Urlaub zurückkehrt, ein Moment, in dem man sich auch als jüngerer Mensch erst einmal hinsetzen und durchschnaufen oder hinlegen möchte. Man kann nur hoffen, dass die Mama das körperlich durchsteht.

Sollten Sie dennoch hingehen? Vielleicht überraschenderweise tendiere ich dazu. Zum einen entsteht, auch wenn es die Jubilarin nicht will, doch so etwas wie ein gesellschaftliches Ereignis ihr zu Ehren, dann ist es doch komisch, wenn Sie sich dem verweigern. Zum anderen sind vielleicht vernünftige, einfühlsame Menschen vor Ort vonnöten, um die Dame zu retten, falls der Sohn auf noch mehr rücksichtslose Ideen verfällt.

Literatur:
Stefan Heidenreich, Geburtstag. Wie es kommt, dass wir uns selber feiern, Hanser Verlag, München 2018