Mit den beliebten Unterschriftenlisten hat es eine eigenartige Bewandtnis. Wenn es nicht um ein offizielles Verfahren wie Bürger- oder Volksbegehren geht, haben sie keine echte Macht. Dennoch können sie durchaus etwas bewegen. Sie zeigen demjenigen, dem sie überreicht werden – offiziellen Stellen oder auch Firmen –, was ein bestimmter Teil der Bevölkerung wünscht oder womit er nicht einverstanden ist.
Man könnte sie deshalb auch als schriftliche Demonstration ansehen, als Aufmarsch auf dem Papier. Mit einem großen Unterschied zur Demonstration auf der Straße: Eine Unterschrift auf der Liste ist schnell geleistet, sie kostet weder Aufwand noch Zeit; und sie erfordert weniger psychische Identifikation als unter Transparenten mitzumarschieren, sein Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dennoch bleibt es dabei: Sie demonstrieren – wenn auch »nur« mit Ihrem guten Namen. Und das beinhaltet auch die Antwort. Ebenso wenig wie Sie sich vermutlich einfach so ein Transparent in die Hand drücken und auf die Straße schicken lassen, müssen Sie auch nicht auf jeder Liste unterschreiben, die man Ihnen vorlegt. Im Gegenteil, sich für etwas einsetzen zu dürfen, sei es zu demonstrieren oder dafür zu unterschreiben, stellt ein Grundrecht dar. Dazu gehört aber auch, sich frei entscheiden zu dürfen, ob und wofür man es wahrnimmt.
Sie können unterschreiben, weil Ihnen die Sache ein Anliegen ist oder weil Sie sich mit der Person, die Sie darum bittet, solidarisch zeigen wollen. Aber Sie brauchen nicht zu unterschreiben, wenn Sie nicht wollen, und sei es nur, weil Ihnen die Art und Weise nicht gefällt, in der Sie um die Unterschrift angegangen wurden. Dann müssen Sie abwägen, wie viel Ihnen an der Sache liegt, ob Sie dennoch unterschreiben. Aber sich in dieser Situation nicht unter Druck setzen zu lassen, stellt auch eine Demonstration dar – für die persönliche Freiheit.
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Marc Herold (Illustration)