Alkohol ist auch eine Lösung

Eine US-Firma hat ein neuartiges Verfahren entwickelt, um aus Kohlendioxid Alkohol herzustellen. Wegen Corona wurde nun aber die Produktion umgestellt – von Wodka zu Desinfektionsmittel.

Diesen hochpreisigen Wodka hat Air Co. vor einer Weile auf den Markt gebracht. Inzwischen ruht jedoch die Produktion: Die New Yorker Firma stellt nur noch Desinfektionsmittel her.

Foto: Air Co

Das Problem: Wir brauchen mehr Desinfektionsmittel, und wir müssen CO2 aus der Atmosphäre entfernen.
Die Lösung: Alkohol aus Kohlendioxid.

Du kannst nicht nur von Luft und Liebe leben, heisst eine gängige Redewendung. Jetzt muss man hinzufügen: Du kannst aber davon betrunken werden.

Eine junge New Yorker Firma verspricht, dass sich die Klimakrise zumindest teilweise wegtrinken lässt. Ihr Rezept gegen Kohlendioxid: Alkohol. Der Wodka von Air Co. besteht nur aus zwei Zutaten: Kohlendioxid und Wasser. Jetzt hat die Firma aus aktuellem Anlass noch eine neue Verwendung ihr Produkt gefunden: In New York, einer der am schwersten von der Corona-Krise betroffenen Städte, fehlt Desinfektionsmittel. Das besteht aber zu 80 Prozent aus Alkohol (Ethanol). Deshalb hat Air Co. seit dem 17. März die gesamte Produktion von Wodka auf Desinfektionsmittel umgestellt und verteilt die Flaschen kostenlos an Institutionen und in Vierteln, wo sie am dringendsten benötigt werden.

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Wer hätte das gedacht, dass sich die zwei derzeit größten Probleme der Menschheit – der Klimawandel und die Coronakrise - mit Hochprozentigem mildern lassen?!

Aber der Reihe nach. Normalerweise braucht man zur Herstellung von Alkohol entweder gärungsfähiges Obst wie Trauben, oder für Wodka Getreide wie Weizen, Mais oder Kartoffeln. Eine »normale« Flasche Wodka, der etwa aus Kartoffeln hergestellt wurde, verursacht etwa sechseinhalb Kilo an Treibhausgasen. Der Alkohol von Air Co. dagegen hat eine negative Kohlenstoffdioxid-Bilanz: Jede Flasche Wodka vernichte soviel CO2 wie acht Bäume, sagt Co-Gründer Gregory Constantine. Ein halbes Kilo CO2 soll pro Flasche weniger in der Welt sein.

Wie das Patent genau funktioniert, wollen die Gründer nicht verraten, weil Betriebsgeheimnis, aber es funktioniere letztlich nach den gleichen Prinzipien wie die Photosynthese in Pflanzen, nur effizienter. Air Co. nutzt Solarenergie, um Kohlenstoffdioxid in reines Ethanol zu verwandeln. Der Herstellungsprozess sei davon inspiriert, wie die Pflanzen in der Natur CO2 aufsaugen, sagte Mitgründer Stafford Sheehan dem Online-Magazine Fast Company: »Sie nehmen Wasser auf und nutzen Sonnenergie, um Stoffe wie Zucker und andere hochwertige Wasserkohlenstoffe zu erzeugen. Das gleich passiert hier bei unserem Prozess: Das einzige Nebenprodukt ist Sauerstoff.«

Weil keine Gärung stattfindet, braucht man keine großen Fässer oder Flächen wie in konventionellen Brennereien und Brauereien, sondern kann relativ mobil in kleineren Gebäuden produzieren

In der hauseigenen Distillerie in Bushwick in Brooklyn, New York, trennt die patentierte Technik von Air Co. Wasser (also H2O) in seine Bestandteile: Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O). Der Wasserstoff wird dann mit CO2 kombiniert, das Air Co. hauptsächlich von benachbarten Fabriken und Distillerien bezieht, passenderweise vor allem als Nebenprodukt der Produktion von »normalem« Alkohol. So entstehen Alkohol und Wasser, in die Atmosphäre wird nur Sauerstoff freigesetzt. Das Wasser verschwindet dann durch das Distillieren, und was übrig bleibt ist Alkohol. Der Wodka sei frei von Chemikalien, Gluten, und Verunreinigungen, versprechen die Gründer, und er sei sogar reiner als traditioneller Wodka, weil es keine Verunreinigungen oder Rückstände von Getreide gebe. Das Konvertierungspatent hat inzwischen Preise von der Nasa sowie den Vereinten Nationen gewonnen.

Sheehan hatte eigentlich in Yale Chemie studiert und kam auf die Idee, weil es ihm in den dortigen Laboren zum ersten Mal gelungen war, Kohlenstoffdioxid in Alkohol umzuwandeln. Constantine wiederum hatte Erfahrung als Manager des Schnaps- und Bierproduzenten Diageo. Als sich die beiden 2016 – ausgerechnet – in einer Bar am Rande eines Erfindertreffens kennenlernten, war die Idee geboren, und sie gründeten 2017 Air Co.

Constantine sagt, das Klimaproblem herkömmlichen Wodkas liege in der Fermentierung des Getreides. Für den Mais, die Kartoffeln oder den Weizen, den die meisten Distillerien als Grundlage nehmen, müssten Tausende Hektar Land bewirtschaftet werden. Der University of Michigan zufolge verursachen Getreideprodukte drei Prozent der Treibhausgase in amerikanischen Haushalten.

Andere zahlen einen CO2-Ausgleich, wenn sie im Flieger oder im Auto sitzen. Ich genehmige mir in Zukunft, wenn wir dann mal wieder fliegen dürfen, stattdessen einfach einen Drink. Oder zwei. Oder drei.

Gregory Constantine (links) und Stafford Sheehan, die beiden Gründer von Air Co.

Foto: Air Co

Besonders begeistert ist Constantine davon, dass die Umwandlungs-Maschine in ein normales Schlafzimmer passt. Weil keine Gärung stattfindet, braucht man keine großen Fässer oder Flächen wie in konventionellen Brennereien und Brauereien, sondern kann relativ mobil in kleineren Gebäuden produzieren.

Die beiden Gründer legen eine detaillierte Rechnung vor, warum ihr Alkohol eine negative Kohlenstoffdioxid-Bilanz hat, also mehr CO2 verschluckt, als die Herstellung ausspuckt. Sogar die Etiketten auf den wiederverwertbaren Glasflaschen haben sie miteingerechnet: Für das Drucken der Etiketten pflanzen sie zum Ausgleich Bäume. Soviel Umweltschutz hat natürlich seinen Preis: 65 Dollar, also knapp 60 Euro, pro Flasche. Bis jetzt konnte man den Weltrettungs-Wodka nur in einigen exklusiven New Yorker Bars und Restaurants trinken sowie online bestellen.

Weil er bisher nur in New York erhältlich ist (die Gründer sagen, wegen des klimaschädlichen Transports soll es einmal viele lokale Mikrobrennereien geben, anstatt weltweiten Versand aus einer Zentrale), konnte ihn die Autorin bisher nicht selbst kosten und verlässt sich auf das, was trinkfeste Kollegen aus New York berichten: Schmeckt genau so wie andere hochpreisige Wodkas und eignet sich vorzüglich für Martinis.

Nun wird in Brooklyn nicht nur Alkohol getrunken, der New Yorker Stadtteil ist auch ein Brennpunkt für die Versorgung von Corona-Patienten. Der Wodka ist zwar das erste Produkt von Air Co., aber die Eigentümer hatten ohnehin schon Pläne, auch andere Produkte mit dem Ethanol zu produzieren, zum Beispiel Düfte und Reinigungsmittel, um auch in diesem Segment Klimagase zu reduzieren. Deshalb brauchten sie weniger als zwei Wochen, um im März die Produktion auf Desinfektionsmittel umzustellen.

Sie sind übrigens nicht die einzigen, die eine Lösung im Hochprozentigen fanden. Auch deutsche Schnapsbrennereien wie Jägermeister oder die Sektkellerei Rotkäppchen-Mumm stellen derzeit statt Kräuterlikör und Schampus Desinfektionsmittel für Kliniken und Apotheken her. Die weltweite Pandemie hat die Nachfrage nach reinem Alkohol zum Desinfizieren so in die Höhe getrieben, dass Spirituosenbrennern bereits die Rohstoffe ausgehen. Zumindest das kann Air Co. nicht passieren. Kohlendioxid gibt es im Überfluss.

Es funktioniert ja eigentlich nie, dass man Probleme einfach wegtrinken kann. Aber hier lasse ich es auf einen Versuch ankommen. Es scheint mir einer der seltenen Fälle, in denen man ehrlich sagen kann: Alkohol ist auch eine Lösung.