Das Problem: 90 Prozent der Frauen weltweit haben keinen Zugang zu Brustkrebsvorsorge, und Mammografien sind nicht für alle geeignet.
Die Lösung: Eine batteriebetriebener Sensor, den auch Menschen ohne medizinische Ausbildung einsetzen können.
Als der Computeringenieur Mihir Shah in Philadelphia seine Jugendliebe heiraten will, wird das Ereignis von einem Schock überschattet. Seine Schwiegermutter wird kurz vor dem Fest 2007 mit Brustkrebs diagnostiziert, muss sich einer Chemotherapie unterziehen und nimmt an der Hochzeit mit einer Perücke teil.
Um seiner Schwiegermutter zu helfen, beginnt Shah, über Brustkrebs zu recherchieren. Dabei macht er eine überraschende Entdeckung: »Deine Überlebenschancen hängen in erster Linie davon ob, wo du lebst.«
Shah stammt ursprünglich aus dem indischen Mumbai, lebt aber seit 22 Jahren in der Nähe von Philadelphia und kennt deshalb die Gesundheitssysteme in beiden Staaten gut: »In Amerika leben 90 Prozent der Frauen mit Brustkrebs mindestens fünf Jahre, in Indien sind es 50 bis 66 Prozent, in Uganda 46 Prozent.« Der entscheidende Unterschied, fand Shah heraus, »ist die Früherkennung. Viele Frauen in Entwicklungsländern haben keinen Zugang zu Mammografien. In Indien kommt ein Radiologe auf 100.000 Menschen, in Amerika sind es zwölf Mal so viele.«
Seine Schwiegermutter erhielt in Philadelphia die bestmögliche Chemotherapie und ist inzwischen krebsfrei, aber für die meisten Frauen auf der Welt sieht die Realität anders aus. Laut Shah haben 90 Prozent der Frauen weltweit keinen Zugang zu Brustkrebsvorsorge. Vielleicht weil es keine Klinik in ihrer Nähe gibt, weil die nächste Klinik mit veralteten Maschinen ausgestattet ist oder die Frauen sich eine Mammografie schlicht nicht leisten können.
Shah ist zu dieser Zeit »Entrepreneur in Residence« an der Drexel Universität in Philadelphia, also ein eng mit der Universität verbundener Investor. Er stürzt sich in die Aufgabe, eine Lösung für Frauen zu finden und erwirbt die Lizenz für einen von Drexel erfundenen keramischen Sensor. Zusammen mit seinem Kollegen Matthew Campisi gründet er 2009 die Firma UE LifeSciences, wo 20 Forscher in einem jahrelangen Prozess ein kleines, batteriebetriebenes Gerät entwickeln, das krebsverdächtige Veränderungen im Brustgewebe erkennt: das iBreastExam, eine rosafarbene Maschine, die ein wenig wie eine Computermaus aussieht.
Lässt man die Unterseite über die Haut gleiten, vibrieren die Sensoren und erspüren in wenigen Minuten krebsverdächtige Veränderungen im Brustgewebe. Das Grundprinzip ist nicht viel anders, als wenn eine Frauenärztin manuell eine Brust abtastet: Eine erfahrene Ärztin erfühlt verändertes Gewebe, weil es steifer und fester ist als gesundes. Das kleine Gerät soll nicht nur Veränderungen bis zu drei Millimetern erfassen, sondern kann, nach einem entsprechenden Training, auch von Menschen ohne medizinische Ausbildung eingesetzt werden, wobei die Daten von einer App ausgewertet werden. Im Zweifelsfall können digital Experten zu Rate gezogen werden, die sich die Resultate aus der Ferne auf ihrem Bildschirm anschauen.
Kein Zweifel: Spätestens seit dem Heidelberger Skandal, bei dem die Uniklinik Heidelberg vorschnell Hoffnungen auf einen einfachen Bluttest für Brustkrebs weckte, muss man misstrauisch sein bei der Ankündigung von wundersamen Krebs-Tests. Aber Shah ließ sich nicht nur fast zehn Jahre Zeit mit der Entwicklung der Maschine, er ließ sie auch in mehreren Studien überprüfen. Ergebnis: Die Zuverlässigkeit liegt bei etwa 87 Prozent. Das iBreastExam ist inzwischen in 12 Ländern zugelassen, von Indien bis Amerika.
Laut Shah wurden bisher mehr als 250.000 Frauen mit seinem Gerät untersucht, bei 120 von ihnen wurde dadurch Brustkrebs diagnostiziert, der sonst wohl nicht oder nicht so früh erkannt worden wäre
Shah dachte ursprünglich vor allem an arme Gegenden, als er das Gerät konzipierte, und er konzentrierte sich bei der Vermarktung zunächst auf Indien, Mexiko, Indonesien, Thailand, Myanmar, Nepal und Oman: »Wir wissen, dass das Gesundheitspersonal vor Ort meistens Frauen sind, die nicht als Ärzte ausgebildet sind. Wir wollten ein Gerät bauen, das mit diesen Einschränkungen zuverlässig funktioniert.« Laut Shah wurden bisher mehr als 250.000 Frauen mit seinem Gerät untersucht, bei 120 von ihnen wurde dadurch Brustkrebs diagnostiziert, der sonst wohl nicht oder nicht so früh erkannt worden wäre. Die Pfizer Stiftung und die Bayer Cares Stiftung finanzieren derzeit Screening-Programme in Burma und Brasilien. Das Gerät an sich kostet knapp 10.000 Dollar, ein Scan damit pro Person zwischen 1 und 3 Dollar. Shah hofft, die Kosten noch weiter zu senken, wenn er mehr Maschinen herstellt. In diesem Jahr wird seine Firma, die inzwischen über 70 Mitarbeiter hat, wohl zum ersten Mal keinen Verlust machen.
Shah wirkt im Gespräch betont bescheiden, und er hebt besonders hervor, dass er mit seinem Gerät Mammografien nicht ersetzen, sondern lediglich eine Lücke bei der Vorsorge und Früherkennung schließen wolle. Wenn das iBreastExam bei einer Frau krebsverdächtige Veränderungen feststellt, wird sie zum Ultraschall geschickt, denn Ultraschall ist auch in ärmeren Ländern vielerorts vorhanden und erschwinglich. Wird dort der Verdacht bestätigt, wäre der nächste Schritt eine Biopsie.
Tatsächlich aber halten Mediziner das Gerät inzwischen auch in westlichen Ländern für sinnvoll. Brian Englander, Radiologie-Professor an der Universität von Pennsylvania, war anfangs skeptisch, als ihn Shah bat, das iBreastExam zu überprüfen. Er habe erwartet, dass die Maschine versagt. »Mammografie ist der Goldstandard,« sagte er der New York Times. Aber die Treffsicherheit des Geräts überzeugte ihn: »Ich hoffe, dass so etwas wie das iBreastExam auch in Amerika akzeptiert wird, denn es gibt Orte und Gruppen, die keinen Zugang zur Brustkrebsvorsorge haben.«
Mammografien können schmerzhaft sein und sind bei Frauen mit dichtem Brustgewebe nicht so effektiv. Viele Frauen unterziehen sich der Prozedur ungern, und Frauen unter 45 wird in den meisten westlichen Ländern nur in Ausnahmefällen eine Mammografie bezahlt. Mit dem iBreastExam könnten auch Allgemeinärzte die Krebsvorsorge schnell und schmerzlos in Routineuntersuchungen einbeziehen.
Shah kämpft in Entwicklungsländern mit anderen Barrieren: Straßen, Versorgungswege, Trainings. Und in seinem Geburtsland Indien begegneten ihm ganz besondere Vorbehalte: Weil dort die Geschlechtsbestimmung von ungeborenen Babys wegen der großen Abtreibungsgefahr für weibliche Embryos verboten ist, machten sich Dorfbewohner Sorgen, ob sie sich mit dem Gerät strafbar machten. Shah überraschte sie dabei, wie sie sein Gerät an den Bauch einer Schwangeren hielten, um zu prüfen, ob es das Geschlecht ihres Babys erkennen könnte. Shah schmunzelt. Das Gerät kann vieles, vielleicht sogar die Brustkrebsvorsorge revolutionieren, aber nein, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, erkennt es nicht.