Die Frage, die Jalila Essaïdi, am häufigsten hört, lautet natürlich: Stinkt das? Die dunkelhaarige Künstlerin und Unternehmerin lacht dann und schüttelt den Kopf. Nein, es stinkt natürlich nicht.
Die weichen Pullover, Pyjamas und Kleider in Pastellfarben, die Essaïdi kreiert, fühlen sich an wie Baumwolle und riechen auch nicht anders als andere Kleidungsstücke. Bevor der Kuhmist aus dem Stall auf der Haut eines Menschen landet, wurde er getrocknet, erhitzt, sterilisiert und so weit gereinigt und verarbeitet, dass genau das übrig bleibt, aus dem die meiste Kleidung (und Papier) nun mal besteht: Zellulose. »Wir betrachten Mist als Abfall, als etwas Ekliges und Stinkendes. Aber Öl, aus dem zum Beispiel Polyester gemacht wird, ist zu Beginn auch nicht sauber und schön«, sagt Essaïdi. »Man muss den Leuten die versteckte Schönheit zeigen, indem man diese Zellulose nutzt.«
Nanozellulose wird normalerweise aus Holz gewonnen. Was bei Pflanzenfressern am anderen Ende rauskommt, enthält aber auch fast zur Hälfte Zellulose, vor allem bei Tieren, die sich viel von Gräsern und Blättern ernähren. Elefanten und Kühe verdauen in dieser Hinsicht besonders ergiebig.
Die 15 Bauern, mit denen Essaïdi in den Niederlanden zusammen arbeitet, trennen schon einmal den Kot vom Urin. In In Essaïdis Labor filtert sie dann aus den nassen Bestandteilen die Phosphate und Säuren heraus, die später im Produktionsprozess helfen. So stellt sie aus der Jauche flüssiges Bioplastik her. »Daraus können wir Fasern für Kleidung schaffen oder Bioplastik für Verpackungen«, erklärt die Designerin und versteigt sich zu einer fulminanten Vision: »Alles, was wir heute aus Plastik machen, kann genauso mit Bioplastik aus Dung fabriziert werden.« Heisst das, Plastik ist nicht nur Scheiße, sondern bald auch richtiger Mist?
Der trockene Dung wird durch Erhitzung sterilisiert und in Form gepresst. Das sieht nicht viel anders aus als die normale Pappe oder das Papier, das wir kennen. Die Fasern werden auch chemisch behandelt, aber weit weniger aggressiv als bei der konventionellen Textilproduktion. Und natürlich schont die Technik den Baumbestand: Gülle gibt es in Hülle und Fülle. Das ist wörtlich zu nehmen: Auch auf deutschen Ackerböden landen jedes Jahr zigtausende Tonnen Gülle zuviel und verseuchen das Grundwasser. Da wäre es doch schöner, wenn die Jauche gebraucht wird: »Dung ist Gold wert«, schwärmt Essaïdi. »Wir betrachten es als Abfall, aber er enthält viele Nährstoffe, Säuren und Zellulose, aus denen wir neue Materialien schaffen können.«
Die aus dem Kot geborene Mode vermarktet Essaïdi als umweltfreundlichere, biologisch abbaubare Alternative zu Baumwolle. »Je nach Mischung können wir steuern, ob die Produkte nach zehn Jahren biologisch abbaubar sein sollen oder erst nach 50.« Jalila Essaïdi versucht hier, gleich zwei Mistfliegen mit einer Klappe zu erwischen: den Überfluss an Dung und den weltweiten Bedarf an umweltverträglichen Materialien. »Im Gegensatz zum konventionellen Prozess brauchen wir weniger Energie und Druck, denn der Kuhmagen hat die Faser schon weich gemacht.«
Shit happens. Wenn man es mit gespitzten Lippen auf französisch ausspricht, klingt »Manure Couture« auch nicht weniger elegant als Chanel oder Givenchy. Essaidi hat die Faser Mestic genannt, das kommt vom holländischen Mest wie Mist. Das bescheidene Problem, wie so oft bei diesen guten Ideen, ist das Upscaling: Wie stellt man diese ungewöhnliche Mode nicht nur in Handarbeit, sondern en masse her?
Essaïdi gründete Inspidere, eine Biotech-Firma bei Eindhoven, und die BioArt Laboratories Stiftung, die Bürgern Zugang zu dem kreativen Hybrid-Labor gewährt. Sie baut derzeit an der ersten Manure Couture Fabrik und träumt davon, Mestic für 3D Drucker fit zu machen oder auch Schweine und andere Vielfresser in die Produktion mit einzubeziehen. Die Modekette H&M hat vorsorglich schon mal in die Idee investiert und Jalila Essaïdi mit dem Global Change Award ausgezeichnet. Andere Forscher arbeiten daran, mit dem Mist Beton stabiler und Autos leichter zu machen oder Ölfilme aufzusaugen.
In der Zwischenzeit, während ihre Techniker das Upscaling lösen, hatte Essaïdi schon wieder eine neue Idee: kugelsichere Haut aus Spinnenseide. Für ihr Projekt »2,6g 329m/s« kombinierte sie in vitro menschliche Haut, die aus Schönheitsoperationen übrig blieb, mit Spinnenseide aus genetisch modifizierten Organismen. Damit kreierte sie eine hauchdünne Haut, die eine langsame Kugel aufhält. Schnellere, stärkere Kaliber kann die künstliche Haut nicht aufhalten, aber trotzdem: »Spiderman ist jetzt keine Fiktion mehr«, meint Essaïdi. »Aber Sicherheit ist bekanntlich relativ.«
Ihr eigentliches Ziel ist, dass es irgendwann nicht mehr als Beleidigung, sondern als Kompliment gilt, wenn ein Kunde ihre Mode auf Amazon mit dem Kommentar bewertet: Das ist alles ein ganz großer Mist.