Fisch heilt Bär

Eine kalifornische Ärztin hat bei wilden Bären ein ganz natürliches Mittel zur Wundheilung eingesetzt. Der erstaunliche Erfolg gibt nun auch Menschen mit Brandverletzungen Hoffnung.


Das Problem:
Brandverletzungen oder chronische Wunden brauchen oft Monate oder sogar Jahre zur Heilung.
Die Lösung: Fischhaut.

Die beiden Jungbären, die mit verbrannten Pfoten aus den verheerenden kalifornischen Waldbränden gerettet wurden, hatten schlechte Heilungschancen: Das größte Feuer in der Geschichte Kaliforniens Ende letzten Jahres hatte ihnen die Pfoten versengt. Sie konnten kaum aufstehen, so sehr schmerzten und bluteten die Wunden. Eines der Tiere war Anfang Dezember auf dem Grundstück einer Vogelzucht gefunden worden, das andere zwei Wochen später im Wald. Kurz vor Weihnachten kam noch ein fünf Monate altes Berglöwen-Junges dazu – alle mit Verbrennungen dritten Grades.

Jamie Peyton, die Chef-Tierärztin an der University of California in Davis fürchtete, die Heilung würde mindestens sechs Monate dauern. Sie hatte Erfahrung mit Brandwunden bei Haustieren, aber Bären und Berglöwen sind schwierige Patienten: Sie lecken gerne an ihren Wunden, man kann sie nicht mit Material verbinden, das sie verschlucken könnten, und natürlich kann man nicht einfach in ihren Käfig spazieren, um täglich den Verband zu wechseln, wie man das bei menschlichen Brandopfern macht. Dazu müsste man sie jedes Mal unter Narkose setzen. Und gerade bei so jungen Patienten besteht die Gefahr, dass sie sich an den Menschen gewöhnen und dann nicht mehr auszuwildern sind. Dazu kam noch, dass Peyton im Ultraschall sah, dass die zweite Bärin trächtig war: »Jetzt war erst recht Eile geboten, denn unter dem Stress der Gefangenschaft ist die Gefahr groß, dass sie ihr Junges verstößt.«

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Peyton versuchte es erst mit den üblichen Methoden: Wunden säubern, Salben auftragen, verbinden, Schmerzmittel geben. Dann erinnerte sie sich daran, dass sie eine Dokumentation über Wissenschaftler in Brasilien gesehen hatte, die menschliche Verbrennungsopfer erfolgreich mit Fischhaut behandelten. Vor allem Tilapia eignet sich dafür besonders gut: Die Fischhaut hält die Haut feucht, ist besonders reich an Kollagen und Enzymen, die bei der Heilung helfen, und man muss sie nur alle zehn Tage wechseln. Die menschlichen Patienten berichten ausserdem, dass sie die Schmerzen lindert. »Ich dachte, das würde super funktionieren«, berichtet Peyton. »Und wenn die tierischen Patienten sie verschlucken, richtet sie keinen Schaden an.«

Einen Versuch war es wert. Peyton kaufte Tilapiahaut einfach auf dem örtlichen Fischmarkt, sterilisierte sie und nähte sie auf die Pfoten der Bären (die natürlich vorher betäubt wurden). Dann verband sie die Pfoten noch mit Riespapier und Maisschalen –  »wie Tamales«, sagt Peyton in Anspielung auf das mexikanische Maisgericht. Überraschenderweise schienen die Tiere zu begreifen, dass der Fischverband ihre Schmerzen lindert und rissen ihn nicht ab.

Nach der Behandlung mit Fischhaut wurden die verletzten Bärenpfoten mit Reispapier und Maisschalen verbunden.

Billiger als die üblichen Behandlungsmethoden ist die Methode auch noch, und so erfolgreich, dass Peyton kaum ihren Augen traute: Innerhalb von drei Wochen verheilten die Pfoten. Das ging so schnell, dass die Wildtier-Experten die Tiere schon im Januar wieder freilassen konnten: Mit einem letzten Tilapia-Verband um die Pfoten wurden die beiden Bären im Los-Padres-Nationalpark ausgesetzt. (Das Berglöwen-Baby ist zu jung, um ausgewildert zu werden.) Peyton glaubt nun, diese Methode könne auch anderen Tieren und sogar Menschen helfen.

Gerade bei Diabetespatienten und Brandopfern sind chronische Wunden ein lebensgefährliches Problem. Je länger die Heilung dauert, desto größer die Infektionsgefahr und das Amputationsrisiko. Können die Fischhäute tatsächlich die Wundheilung revolutionieren? Die isländische Firma Kerecis ist davon überzeugt. Sie stellt Bandagen aus atlantischem Dorsch her und verschickt sie bis nach Amerika, wo die Militärärzte ihre Verletzten damit behandeln, aber auch nach Deutschland. Die Hoffnung: Durch die schnellere Wundheilung können Amputationen vermieden werden.

In Deutschland werden die Fischhäute von Kerecis seit kurzem eingesetzt: Im Universitären Herzzentrum in Hamburg stellte der Gefäßspezialist Dr. Holger Diener überrascht fest, dass bei vier von zehn Patienten Wunden, die zuvor Monate und sogar Jahre lang nicht verheilten, innerhalb von drei Monaten mit der Dorschhaut komplett abheilten. Und selbst bei den übrigen Patienten verkleinerten sich die Wunden. Die Omega-3-Fettsäuren in der Fischhaut helfen bei der Heilung, wirken antibakteriell und sogar entzündungshemmend. Auch im Wundheilungszentrum von Bad Oeyenhausen sind die ersten Experimente so vielversprechend, dass nun eine ausführliche Studie die Wirkung belegen soll. Chefarzt Diethelm Tschöpe meint, sowohl erste Forschungsergebnisse als auch die Erfahrungen im klinischen Alltag deuten an, dass die Fischhaut-Therapie »anderen Therapieformen überlegen sein könnte.« Denn: »Nur eine Wunde, die sich verschließt, kann heilen.«

Fotos: California Department of Fish and Wildlife