»Es ist wichtig, dass wir diese Generation nicht vergessen«

Für Senioren, die vom Internet überfordert sind, will der Startup-Gründer Paul Lunow den »einfachsten Computer der Welt« bauen. Im Interview erklärt er, wie ihm seine Großtante dabei half und warum das Gerät trotz Marktreife noch nicht erhältlich ist.

Das Problem: Die Hälfte aller Senioren über 65 traut sich nicht ins Internet.
Die Lösung: Ein junger Computerentwickler arbeitet an einem Tablet mit einer universellen Bedienoberfläche eigens für Ältere.

SZ-Magazin: Warum entschließt sich ein Programmierer mit Ende 20, ein Tablet für Senioren zu bauen?
Paul Lunow: Als Programmierer bin ich gleichzeitig der Systemadministrator für die ganze Familie. Das funktioniert alles ganz prima, nur mit meiner Großtante gab’s immer wieder Probleme. Irgendwann rief sie an, weil nichts mehr lief, und gab zu: »Ich wollte Ordnung schaffen und habe alles gelöscht, was ich komisch fand.« – »Auch den Windows-Ordner?« Ohweee.

Und dann beschlossen Sie gleich, Apple und Microsoft Konkurrenz zu machen und einen neuen Computer zu bauen?
Wir treten natürlich nicht gegen Apple an. Wir haben meiner Großtante zuletzt zu Weihnachten ein iPad gekauft, weil es kein intuitiveres Tablet gibt. Ich habe mich drei Tage mit ihr hingesetzt, alles erklärt. Da habe ich festgestellt, dass es so einfach nicht ist. Da gibt es viele kleine Barrieren, die einem den Umgang schwermachen. Allein eine Apple-ID einzugeben, mit Groß- und Kleinbuchstaben in einem Feldchen, wo man die Buchstuben nicht sieht – darüber denkt ein Digital Native gar nicht nach, aber das kann für Senioren eine Stunde dauern und wahnsinnig frustrierend sein.

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Kann man die bestehenden Tablets nicht mit Software für Senioren optimieren?
Den Weg gehen wir schon, wir bieten eine kostenlose App an. Letztlich ist es die Kombination von Hardware und Software, die Apple so unschlagbar gemacht hat, denn wenn man beides gleichzeitig entwickelt, dann kann man echte Innovation schaffen.

Nun haben Sie nicht etwa eine doofe, sondern eine besonders coole Großtante. Luise Lunow hat mit Loriot Pappa ante Portas gedreht, ging als »Enkelschreck« mit dem Rap-Song »Acid auf Rädern« viral und arbeitet mit ihren 87 Jahren immer noch als Synchronsprecherin und Schauspielerin.
Genau, sie steht mitten im Leben und im Beruf, ist sehr umtriebig und macht auch ihre ganze Kommunikation per Email. Sie hat gelernt, mit iPad und iPhone zurecht zu kommen, trotzdem fühlt sie sich unwohl damit und sagt: Ich habe meine zweieinhalb Sachen, die ich regelmäßig brauche, lass mich bloß in Ruhe mit neuem Zeug. Es ist mir ganz wichtig zu sagen, dass ich Ältere nicht etwa für dumm halte, sondern sie haben objektiv andere Bedürfnisse: Zum Beispiel lässt die Leitfähigkeit der Haut im Alter nach oder jemand hat einen leichten Tremor, und dann funktionieren Touch Screens schon nicht mehr so gut. Plötzlich verschwindet alles und man denkt, der Computer mache, was er wolle. Deshalb haben wir eine Bedienoberfläche entwickelt, die auf diese speziellen Anforderungen eingeht und immer nach dem gleichen Prinzip funktioniert, egal welche Apps dahinter stecken.

»Wir haben den Prototypen fertiggebaut, waren auch in China, aber haben in Deutschland keinen Investor gefunden, der das Risiko eingehen wollte, mit uns Hardware zu bauen«

Womit haben Senioren die größten Schwierigkeiten?
Die größte Schwierigkeit ist wirklich die Vielfältigkeit, dass alles immer wieder anders ist. Updates, Virenwarnungen, eine neue Designsprache, dann stehen die Leute davor und sagen: Ich fange jetzt wieder von vorne an.

Woher wissen Sie, was Ältere wollen?
Großtante und Oma waren die ersten Versuchskaninchen. Da habe ich natürlich den Enkelbonus; die finden alles super. Deshalb haben wir schon 2015 die Rosenhof-Akademie gegründet und seither mit über 300 Probanden in Seniorenheimen immer wieder neue Prototypen und Ideen ausprobiert. Auch jeder neue Mitarbeiter muss als erstes da mit. Das ist unerlässlich, wir haben wahnsinnig viel gelernt, wie ältere Menschen damit umgehen.

Was funktioniert bei Nepos anders?
Der Clou bei unserem Interface ist, dass wir die eigentliche Oberfläche komplett verstecken und die Funktionen vereinheitlichen. Die einmal gelernte Logik kann auf jeden Bedienschritt angewendet werden und jedes Bedienelement hat genau eine Funktion. Die Leute verlieren ganz schnell die Angst und trauen sich zu, neues auszuprobieren.

Ein Beispiel?
Eine Oma will eine Nachricht an ihren Enkel schicken. Dazu drückt sie einfach auf Kommunikation. Ob dahinter dann Snapchat, WhatsApp, Skype oder Email steckt, wählt im Idealfall der Enkel aus, und die Oma muss sich nicht ständig an neue Apps gewöhnen. Wir wollen jeden Menschen mit einer persönlichen Motivation ansprechen. Weil meine Großtante Schauspielerin ist, habe ich ihr gezeigt, dass sie sich mit YouTube Theateraufführungen auf der ganzen Welt anschauen kann, von Schüleraufführungen bis zur Oper in Sydney. Da leuchten dann die Augen. Unser Ziel ist es ja, die Älteren in die digitale Welt zu integrieren anstatt zu sagen: hier eine Ecke für Senioren, bleibt da. Ältere verlieren doch nicht ihre Interessen, nur weil sie älter sind.

Das Ganze ist ein riesiger Markt: 16 Millionen Senioren leben allein in Deutschland, und die Hälfte traut sich nicht ins Internet. Warum motiviert das die großen Hersteller nicht dazu, mehr Tech-Produkte für sie zu entwerfen?
Die wollen Kinder ansprechen, damit Dreijährige mit ihren Geräten rumspielen und ihr Leben lang bei dieser Marke bleiben, aber Ältere haben ganz andere Anforderungen. Wir müssen ihnen eigentlich viel mehr zeigen, welche Welt sie sich durch das Internet erschließen. Die heute 65-Jährigen haben eine Lebenserwartung von 15 bis 20 Jahren. Wenn man sich überlegt, wieviel in zehn Jahren digitalisiert ist, dann kommt man nicht umhin, sich damit auseinander zu setzen.

Ihr Tablet war eigentlich schon im letzten Jahr marktreif, ist aber immer noch nicht erhältlich, obwohl Sie prominente Privatinvestoren gewannen, vom Elektrohändler Conrad bis zu Christian Vollmann, dem Gründer der Nachbarschafts-Plattform Nebenan.de. Woran fehlt’s?
Mein Mitgründer Florian Schindler hat vorher für den Werbekonzern BBDO gearbeitet, sein Bruder ist im Google-Vorstand in Mountain View, das hat uns viele Kontakte ermöglicht. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, über die Jahre das Projekt zu entwickeln. Wir haben den Prototypen fertiggebaut, waren auch in China, aber haben in Deutschland keinen Investor gefunden, der das Risiko eingehen wollte, mit uns Hardware zu bauen. Eine Crowdfunding-Kampagne auf Companisto brachte 870.000 Euro, man braucht aber mindestens eine Million Euro Startkapital, die haben wir nicht erreicht. Die Nachfrage ist aber so gigantisch, dass wir uns jetzt auf die Software konzentrieren und die als Web-App aus dem Tablet rausgezogen haben. Wenn man unsere App auf einem iPad installiert, ist das schon mal besser. Die kann noch nicht viel, gibt aber einen guten Einblick und wird ständig weiter entwickelt.

Es sind schon andere mit ähnlichen Ideen gescheitert: In den USA gibt es GrandPad, in England Breezie, in Deutschland Asina eines Dresdner Startups. Obwohl der Bedarf objektiv da ist, ist keine dieser Entwicklungen wirklich erfolgreich.
Die sind nun nicht alle gescheitert, aber fallen alle auf diesen Punkt rein, dass sie sagen, oh, das ist für alte Leute, die brauchen ihren Pillenalarm, den Link zu ihrem Doktor, und hier spielen sie Sudoku. Vermeintlich naheliegend, aber das ist kein universelles Wissen und immer eine Sackgasse, wenn der Fokus auf Einzelanwendungen liegt.

Wie soll es anders gehen?
Ganz entscheidend ist, dass sich ein riesiger gesellschaftlicher Druck aufbaut und die Internetgeneration nicht auf die Stimme der Älteren verzichten kann. Es wird überhaupt nicht realisiert, dass soviel Wissen und Erfahrung komplett davon ausgeschlossen ist. Es ist extrem wichtig, dass wir diese ganze Generation nicht vergessen, sondern ihr die Möglichkeit geben teilzunehmen. Es gibt allein in Deutschland 13 Millionen internetferne Menschen. Und diesen geben wir ein Werkzeug um sich heute im Internet zu bewegen und damit fit für die Zukunft zu sein.

Was ist Ihre Vision?
Jede Generation kommt irgendwann an den Punkt, wo sie sagt: Was die Jungen machen, interessiert mich nicht mehr im Detail. Aber sie wollen trotzdem nicht den Anschluss verlieren. Die Vision ist, dass Nepos die vertrauensvolle Marke wird für Technologie im Altern. Firmen wie Volkswagen kommen auf uns zu, weil sie eine einfache Bedienungsoberfläche für die Autos brauchen. Es kommen sogar viele Jüngere zu uns, und ich wünsche mir auch so ein Produkt für mich selber. Ich habe auch keine Lust, zwei unterschiedliche Apps für zwei verschiedene Banken zu installieren und dann ändert eine wieder ihre Sicherheitsstandards, dann muss man alles wieder neu machen. Ich habe selbst den Wunsch, diese unendliche Vielfalt wieder zu reduzieren und es wieder einfacher zu machen. So einfach wie möglich.