Wo muss ich noch mal drücken?

Früher hat unsere Senioren-Kolumnistin anderen die Welt erklärt. Heute muss sie ständig um Hilfe bitten – und ist überrascht, wie manche Menschen darauf reagieren.

Illustration: Nishant Choksi

Mein Mann kümmerte sich immer darum, wie unser Geld angelegt wurde. Nach seinem Tod musste ich zum ersten Mal zum Beratungstermin. Der Bankberater witterte wohl seine große Stunde. Er zog Kontoübersichten heraus, malte dramatische Pfeile darauf, klebte neonfarbene Post-Its auf die Auszüge und erklärte mir, dass ich mein Geld ganz anders anlegen müsse. Ich kannte seinen Blick: Mit der armen, hilflosen Frau wird man doch gute Geschäfte machen können.

Ich habe eine Taktik für solche Situationen. Einfach nur nicken und lieb tun. Keine Entscheidung treffen. Alles ganz genau merken. Und dann im Nachhinein einen Bekannten um Rat fragen, der sich auskennt. In diesem Fall eine befreundete Finanzberaterin. Ich bin doch kein Mütterchen, das sich über den Tisch ziehen lässt.

Schlimm ist, dass ich in wirklich vielen Situationen auf Hilfe angewiesen bin. Als Mutter und Omi konnte ich lange Zeit anderen die Welt erklären. Warum der Himmel blau ist (Farbspektrum, Physik). Was man gegen Liebeskummer macht (klingt banal, hilft aber: ein rotes Kleid kaufen). Wie man das schlechte Gefühl vor Prüfungen bekämpft (heiße Schokolade).

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Mein Mann und ich hatten in Erklärdingen eine gute Arbeitsteilung. Ich war für Gefühle und allgemeine Lebenstipps die bessere Ansprechpartnerin, er übernahm Bürokratie und Technik. Dann bekam mein Mann Alzheimer. Und ich saß auf dem Sofa und realisierte, dass ich verdammt noch mal nicht wusste, wie man eine Glühbirne wechselt. Und wo man überhaupt Glühbirnen kauft. Und wie man erkennt, wie groß die Fassung sein muss.

Es war kein gutes Gefühl.

Ich will nicht hilflos sein. Ich will mich in der Welt auskennen. Auch weil ich das Gefühl habe, dass alles andere nur ein schleichender Tod ist.

Also versuche ich, mir so schnell wie möglich zu erarbeiten, was bisher mein Mann abgedeckt hat. Ich kaufte mir ein iPad. Ich fuhr mit meiner Tochter in den Baumarkt. Nur in die Steuerunterlagen wollte ich mich nicht einarbeiten, die gab ich an einen Berater. Ich mag keine Zahlen. Und so viel Lebenszeit habe ich auch nicht mehr.

Damit ich all meine Wissenslücken stopfen konnte, musste ich aber viele Fragen stellen. Und es erzählt viel über die Menschen, wie sie darauf reagieren.

Wenn ich Fremde um Hilfe bittet, werde ich manchmal ernst genommen und bekomme einfach nur die Info, nach der ich gefragt habe. Oder die Leute schauen mich an, sehen meine Falten und verlangsamen ihr Sprechtempo. Dabei könnte man meinen, dass es keine Wissenschaft ist, mir zu sagen, ob sie die Wolle in der gesuchten Farbe im Laden vorrätig haben. Sonst bitte ich meine Tochter, sie mir im Internet zu bestellen.

Es fällt mir aber tatsächlich schwerer, Familie und Freunde um Hilfe zu bitten. Wenn ich auf dem Sofa sitze und über eine Sache grüble, gehe ich im Kopf durch, wen ich anrufen und fragen könnte. Bei den meisten Menschen fällt mir ein, dass sie sowieso schon ganz schön viel zu tun haben. Dann ihre Nummer zu wählen und die alte Frau zu sein, die anruft und sich Dinge erklären lassen muss, gefällt mir gar nicht gut. Ich will die alte Frau sein, die anruft und mit der man sich dann nett unterhält.

Deswegen bin ich der Technik dankbar. Für die meisten Fragen finde ich bei Google die Lösung. Und wenn ich eine Lösung gefunden habe, schreibe ich sie mir auf. So habe ich mir auch mein iPad erarbeitet: Ich habe mir die kleinen Symbole in ein Heft gemalt und jeweils dazu notiert, was sie können. Dann die Feinheiten: Wie man eine Mail verschickt. Wie man ein Foto aus dem Anhang einer Mail speichert. Dank meiner selbstgeschriebenen Anleitung weiß ich auch, wie ich meine Enkel mit Facetime anrufen kann, wenn ich sie vermisse. Es wird.